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Bei ihrer Bekämpfung [gemeint ist der angeblichen Hexenkulte] bedienten sich alle Gerichtsinstanzen (und nicht nur die Ketzerinquisitoren) drittens in bisher unbekanntem Umfang des öffentlichen Strafrechts in Gestalt des Inquisitionsprozesses; dabei bestand eine erhöhte Gefahr, mittels vorgefertigter Fragekataloge (Interrogatorien) und peinlicher Frage (Tortur) diejenigen Aussagen zu erpressen, die der Richter erwartete. Von Beginn an eigneten sich die Hexenprozesse schließlich viertens auf vielfältige Weise zur Austragung gesellschaftlicher Konflikte und Feindschaften. Festzustellen bleibt in unserem Zusammenhang, dass kirchliche Inquisitoren ebenso wie weltliche Gerichtsherren in den Städten und Territorien an der ersten Welle von Hexenverfolgungen beteiligt waren. Legitimation für eine solche plurale Zuständigkeit war die Vielgesichtigkeit des Hexereideliktes, das - je nach Interesse - eher als weltliches Verbrechen oder eher als eine antichristliche Häresie verstanden werden konnte.
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Sehr eigen fiel jedoch Institoris' [berühmter Hexenverfolger im späten 15. Jh., eigentlicher Name: Heinrich Kramer] Urteil über die Zuständigkeit in Hexereisachen aus: Obwohl für dieses crimen mixtum prinzipiell beiden Foren zuständig seien, handele es sich doch eher um eine Angelegenheit der weltlichen als der kirchlichen Gerichte. Hintergrund für diese merkwürdige Selbstbescheidung: Vor Kirchengerichten hatten reuige Sünder Anspruch auf Vergebung und Buße bzw. mildere Bestrafung, die weltliche Justiz dagegen konnte sie wegen Zauberei direkt zum Tode verurteilen. Die praktischen Folgen dieser Differenz waren gravierend. Im nördlichen Europa und insbesondere im Alten Reich, dem Kerngebiet der Verfolgung, wo die Prozesse fast ausschließlich unter der Ägide weltlicher Gerichte der Territorien, Städte und Patrimonialherrschaften stattfanden, kostete der Hexenglaube Zehntausende von Menschen das Leben; allein in Deutschland waren es vielleicht 25000. Im Mittelmeerraum dagegen agierten die Inquisitionen zurückhaltender. Nicht ohne Grund konstatierte ein Inquisitor in Cremona 1614, die vom dortigen Tribunal als Apostaten gestraften Hexen könnten von Glück sagen - von weltlichen Richtern wären sie zweifellos zum tode verurteilt worden.
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Die Suprema [oberste Kommission der Inquisition auf der iberischen Halbinsel] zeigte sich in der Frage gespalten, legte aber in der Fogle vergleichsweise rigide Verfahrensweise fest: Niemand sollte allein auf Aussage anderer Hexen hin verhaftet werden; die Suprema müsse über alle Zweifelsfälle und über die Rpckfälligen informiert werden; alle Urteile müßten einstimmig gefällt werden; neimandem, der Hexerei freiwillig gestandm dürfe sein Besitz konfisziert werden. Ein Schwerpunkt der Bestimmungen der Kommission lag überdies auf Predigt, Seelsorge und Umerziehung der angeblichen Hexen.
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Als eine Ausweitung der Prozesse drohte, schwenkte sie um und beauftragte den jungen Inquisitor Alonso de Salazar Frias, der bereits früher gegen das Vorgehen seiner Kollegen opponiert hatte, mit einer Untersuchung. Mit dem Gnadenedikt in der Tasche besuchte er zwischen Mai 1611 und Januar 1612 die abgelegenen Gebirgsregionen [der nördlichen Pyrenäen]. Seine Bilanz über die Qualität der umlaufenden Gerüchte udn Verdächtigungen war neiderschmetternd. Nicht den geringsten Beweis habe er gefunden, daß irgendeine Hexereihandlung tatsächlich vorgekommen sei. Die GEständnisse der Angeklagten reichten für sich genommen, ohne andere Beweise, keinesfalls hin, um auch nur Verhaftugnen vornehmen zu lassen. Sie seien überwiegend völlig falsch. Nicht zuletzt aufgrund diees Berichts bekräftigte die Suprema im August 1614 ihre Skepsis gegenüber Hexenprozessen und rehabilitierte soar die im Jahr 1610 Verurteilten. Die Verfolgungen in Navarra wurden durch ein Edikt des Schweigens beendet, die Verbreitung von Hexereigerüchten wurde künftig unter Strafe gestellt. Faktisch wurde mit dieser Episode das Ende der Hexenprozesse vor den Tribunalen der spanischen Inquisition eingeläutet - nicht aber vor denen der weltlichen spanischen Gerichte, die erst sehr viel später derartige Verfolgungen beendeten.
Die skeptische Haltung der spanischen Inquisition wurde von den Kardinalinquisitoren der römischen Schwesterorganisation geteilt.
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