Es handelt sich hier wirklich um eine Scheindebatte, die Herr Westerwelle angestoßen hat und mit der er natürlich auch versucht, seine FDP-Klientel zu bedienen. Und diese besteht zum größten Teil wohl eher nicht aus Hartz4-Empfängern, sondern z.B. aus Bankern, Ärzten und - wie man seit Neuestem auch weiß - aus Hoteliers.
Das eigentliche soziale Problem in unserem Land ist doch nicht, dass wir eine große Anzahl an Drückebergern hätten, die sich weigern würde zu arbeiten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die große Mehrheit der Transferbezieher möchte gerne einer Tätigkeit nachgehen. Das eigentliche Problem ist die Veränderung auf dem Arbeitsmarkt über die letzten Jahrzente, welche im Wesentlichen zur Folge hat, dass es immer weniger Arbeitsplätze für Menschen mit geringer Qualifikation gibt. Oder andersherum gesprochen: Das Angebot an Arbeitskräften in diesem Bereich ist zu groß. Gleichzeitig geht damit eine Verschiebung der Vermögensverhältnisse einher, welche die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften lässt.
Kombi-Löhne oder Mindestlöhne können partiell sinnvoll sind, sind aber nicht in der Lage, dieser Ursache Herr zu werden. Es werden hauptsächlich die Symptome bekämpft. Ein flächendeckender Mindestlohn, der wirksam wird, würde zudem den Produktionsfaktor Arbeit weiter belasten und in den betreffenden Branchen zu Rationalisierungsmaßnahmen führen, d.h. die Ersetzung von Arbeit durch Kapital würde angeregt. Außerdem würden viele Unternehmen dazu gedrängt, in Staaten mit niedrigeren Löhnen auszuweichen. Und selbst in Branchen, bei denen das nicht zutrifft, sollte man immer vor Augen haben, dass ein Unternehmen nur solange Arbeitskräfte nachfragen wird, wie sie ihm "nutzen". Mindestlöhne und Kombi-Löhne sind nur Arbeitsmarktinstrumente, aber nicht die Heilsbringer.
Man wird diese Problematik nur langfristig über das Bildungssystem lösen können. Gäbe es weniger Menschen, die eine geringqualifizierte Beschäftigung suchen, würden auch die Löhne in diesen Bereichen steigen. Gleichzeitig müssen wir in Deutschland ein sehr großes Interesse daran haben, über ein hohes Maß an exzellent ausgebildeten Menschen zu verfügen. Es ist schon grotesk, dass wir auf der einen Seite vielen Menschen keine Arbeit vermitteln können, andererseits aber wiederum Fachkräftemangel vorherrscht und Potential für Beschäftigung vorhanden ist.
Diese Debatte, die Herr Westerwelle angestoßen hat, und auch die Diskussionen und Taten, die von CDU und FDP bislang in Regierungsverantwortung vorgenommen wurden, zeigen mir, dass man nicht gewillt und in der Lage ist, die Weichen für die Zukunft unseres Landes zu stellen. Stattdessen wird schon wieder Wahlkampf betrieben und das auch auf Kosten der Spaltung unserer Gesellschaft. Die Kindergelderhöhung ist sozial ungerecht und eine Fehlallokation von Ressourcen. Man hätte dieses Geld sehr viel sinnvoller in der Bildungsinfrastruktur anlegen können. Und spätestens seit Keynes sollten wir wissen, dass die Konsumausgaben mit zunehmendem Einkommen relativ zurückgehen, d.h. wenn man schon den Leuten mehr Geld lassen will, hätte man es z.B. Hartz4-Empfängern geben müssen (wobei ich das auch nicht für richtig halten würde). Das Volumen der Steuersenkung für Hoteliers hätte weiterhin wohl dafür gereicht, die aktuellen Forderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst zu erfüllen.
Im Bildungsbereich glänzen FDP und CDU mit Studiengebühren. Weiterhin lässt Frau Schavan keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie das föderale Bildungssystem sehr gut findet. Hier wären eigentlich massive Investitionen und Strukturreformen erforderlich, um auf Kurs zu kommen. Und das bedeutet sicher nicht eine einseitige Förderung von Eliten, wie es bei der FDP manchmal den Anschein hat. Pisa und andere Studien haben uns aufgezeigt, welch schreiende Ungerechtigkeiten gerade im Bildungssektor vorherrschen. Und hier wird nunmal Armut vererbt. Rheinland Pfalz, unter Führung von Kurt Beck, ist da schon viel weiter. Dort arbeitet man an der Realisierung von kostenlosen Kindergartenplätzen.
Eine Sache vielleicht noch zum Abschluss: Herr Westerwelle weist ja immer so gerne auf die Gefahr hin, die von arbeitsunwilligen Personen ausgehen würde. Ich frage mich, wann er sich mal den Sozialschmaraotzern zuwendet, die ihr Geld ins Ausland schaffen, um keine Steuern zahlen zu müssen? Und ich frage mich, wann er mal damit beginnen wird, sich mit der Lebenswirklichkeit von Menschen am unteren Rand unserer Gesellschaft zu beschäftigen.