- Joined
- Feb 25, 2006
- Messages
- 8,792
- Points
- 250
Habe einen Spiegelbeitrag mit selbigen Titel vor einiger Zeit gelesen:
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,821289,00.html
Fand den größenteils daneben.
Dann fand ich einen beeindruckenden Kommentar im Spiegelforum vom User "nietzscheaner66" hierzu:
http://forum.spiegel.de/f22/bayern-torjaeger-mario-gomez-nur-im-strafraum-ein-star-56502-7.html
Über den Stürmer im Fußball – Ein Plädoyer für Mario Gomez
„Ein Stürmer wird an Toren gemessen.“ Einer jener Sätze, dessen Wahrheit so offenkundig scheint, dass man ihn als trivial bezeichnen möchte. Einer jener Sätze, dem das aus dem „Doppelpass“ bekannte Phrasenschwein einen Löwenanteil seiner monetären Füllung verdankt. Aber wird diese Wahrheit heute noch geglaubt? Gilt sie noch?
Unter den zahllosen Beobachtern und Kommentatoren des aktuellen Fußballgeschehens ist es eine der am kontrovers diskutiertesten Fragen: Immer wieder ist Mario Gomez der Ausgangspunkt einer sehr hitzigen Debatte, die sich nach beinahe jedem Spiel an ihm entzündet. Egal, wie viele Tore Gomez beisteuert – ob 2, ob 3, ob 4 – niemals verstummen jene Stimmen, die ihn als - überspitzt gesagt – zweitrangigen Fußballprofi abtun wollen. Woraus speist sich deren Kritik? Jedenfalls nicht daraus, dass er zu wenig Tore schießt. Ihm wird vorgehalten, technisch zu schlecht für fußballerische Spitzenleistungen zu sein. Seine Tore werden verächtlich als leichte Beute, „Stolper-Tore“ oder glückliche Ereignisse abgetan. Glorifiziert werden daher Stürmer des mitspielenden Typs, wie sie Ibrahimovic, Eto’o, van Persie, CR, Aguero oder Tevez darstellen. Auch Rooney - belegt mit dem sehr internettypischen Begriff „False Nine“ - wird Gomez auf ganzer Linie vorgezogen. Gomez; und er dient hier nur als pars pro toto für den klassischen Mittelstürmer; sei ein Relikt aus alter Zeit und heute nicht mehr zeitgemäß.
Woher kommt diese merkwürdige Vorstellung, die letztendlich darauf hinaus läuft, dass ein mitspielender Stürmer, der 15 Tore in einer Saison schießt, von denen 12 technisch anspruchsvoll waren oder nach Sololäufen erzielt wurden, besser sein soll als ein klassischer Mittelstürmer, der 30 Tore in der Saison bei 28 Abstauber -Toren erzielt?
Aus meiner Sicht geht eine solche Kritik auf den alten Slogan der römischen Kaiser über die Gladiatorenkämpfe in der Arena zurück. „Panem et circenses.“ – Brot und Spiele. Wer nach technischen Finessen mehr als nach allem anderen lechzt, frönt damit dem Starkult. Der Vorstellung, dass Mannschaften nur notwendige Kollektive sind, um Stars, großen individuellen Könnern, ein Biotop des Genialen bieten zu können. Für solche Kritiker geht es im Fußball vor allem um das Spektakel. Es geht beim Fußball letztendlich – das sei nicht geleugnet – wie in jedem Massensport seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in der Tat um eine gigantische Show. Sport ist den Massen ein gewaltiges Opiat geworden, dass die Religion – ehemals wirkungsvollstes Narkotikum des Geistes – von diesem Platz verdrängt hat. Nur bezieht sich dieser Schaucharakter des Sports eher auf seine Vermarktung, nicht aber auf Abläufe innerhalb desselben – wie von den Kritikern des klassischen Mittelstürmers offenbar angenommen.
Ziel der Sportart Fußball ist es, am Ende des Spiels mindestens ein Tor mehr als die gegnerische Mannschaft erzielt zu haben. Das ist die Definition eines Sieges in dieser Sportart. Daher muss unbedingt folgender Satz gelten: Die Qualität von Toren bemisst sich allein (!) nach ihrer Quantität. Dies ist nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten aufzufassen, sondern allein nach für das Spiel relevanten. Ästhetische Unterschiede zwischen Toren mag es geben (siehe: Tor des Monats, etc.), aber diese sind Teil des Spektakels und der Show. Solche Tore elektrisieren die Massen, sind aber für das eigentliche Spiel nicht wertvoller als andere. Dieser fundamentale Sachverhalt nimmt schon einmal dem Ansatzpunkt der Kritiker, dass der Anspruch des erzielten Tores etwas über die Qualität des Stürmers sage, jeglichen Boden. Distanzschüsse, Solo -Tore und Resultate aus schönen Kombinationen sind objektiv nicht mehr wert, als Abstauber- oder Stolper - Tore. Wäre es anders, müsste man für einen Distanzschuss im Ergebnis 2 Tore der Mannschaft des Schützen gutschreiben bzw. die Kritiker müssten dieses fordern.
Durch einen solchen Kunstgriff würde sich Fußball dem Basketball annähern, in dem es auch 3 Punkte für Würfe aus größerer Distanz gibt. Angesichts der Tatsache, dass im Fußball viel weniger Tore fallen, als im Basketball, allerdings eine absurde Vorstellung.
War nicht Gerd Müller, der größte aller Stürmer, auch eher ein Spielertyp, dessen Ideal in erster Linie darin bestand, Tore zu erzielen? Seine technischen Fähigkeiten waren zwar besser, als landläufig bekannt (man erinnere sich an seine Doppelpässe mit Beckenbauer!), aber darüber hat er sich nie definiert. Bei den hunderten und aber-hunderten Toren, die er erzielt hat, ist das auch kein Wunder… Nun versucht man von Seiten der Kritiker jene Argumentationslinie zu entwickeln, die einen Graben zwischen dem heutigen Spiel und dem vergangener Tage ausheben will. Heute -so der Tenor – müsse ein Stürmer mehr sein als nur Tormaschine. Aber warum nur? Sicher, das Spiel ist heute im Großen und Ganzen schneller und zuweilen auch technisch versierter geworden.
Das Ziel des Spiels hat sich aber nicht geändert. Ein Stürmer ist nach wie vor das Ende einer kreativen Kette. Warum wird es als kritisch gesehen, wenn er seine primäre Aufgabe perfekt ausfüllt? Gerade im heute aktuellen (und von mir sehr geschätzten) 4-2-3-1 System muss ein Stürmer doch gar nicht mehr sein, als eine Tormaschine. Wenn man wie Gomez wahlweise Ribery – Müller – Robben oder Podolski, Schürrle, Götze – Özil – Müller und dazu noch Schweinsteiger als Organisator hinter sich hat; muss man da aktiv am kreativen Prozess teilnehmen? Die Stärke dieses Systems besteht doch gerade darin, dass man das Mittelfeld mit technisch und spielerisch brillanten Akteuren verdichtet und es sich so leisten kann, mit nur einem Stürmer zu agieren. So gesehen füllt Gomez diese Position mit seiner Interpretation perfekt aus. Wenn Gomez‘ Tore also nichts weiter, als leichte Beute oder Glück sind, erklärt man damit im historischen Sinne den klassischen Mittelstürmer zu einer Art Müllplatz für Spieler, die für alles andere zu schlecht sind. Mit dem Gedanken des Leistungssports ist eine solche Vorstellung unvereinbar und daher absurd. Man bedenke nur, welche Giganten man damit beleidigen würde: Neben Gerd Müller wären da z.B. noch: Seeler, van Basten, Kempes, Butrageno, Ronaldo, van Nistelrooy, …
Ein anderer Aspekt dieser Mittelstürmer – Kritik hat seine Wurzel möglicher Weise in der heutigen Pädagogik und ist möglicher Weise deshalb bei den jüngeren Kritikern relevant: Grundsätzlich wird heute vielerorts die These vertreten, dass – abstrakt gesagt – die Vorbereitungen und Darstellungen einer Handlung wertvoller seien, als diese Handlung und das Ergebnis der Handlung selbst. Schreckliches Stichwort für diesen Niedergang des Geistes ist das in der Bildungssprache inflationär gebrauchte Wort der „Kompetenzen“. Konkret gesagt: Bei einer Matheaufgabe gelten die notwendigen Umformungen und Operationen als wertvoller, als das finale Ergebnis, da man zur Erlangung desselben nur noch den in Form gebrachten Term in den Taschenrechner eingeben muss. Bei Präsentationen und Texten wird auf Gestaltung und Struktur mehr Wert gelegt, als auf den Inhalt. Analog gilt demnach im Fußball, dass das Kreieren von Torchancen höher zu bemessen sei, als deren Nutzung, da man oft nur noch – wie Gomez – den Fuß hinhalten muss. Nur muss gefragt werden, wozu Torchancen zu kreieren sind. Um das Ziel des Spiels zu erfüllen, welches im Erzielen von Toren besteht. Man kann zig Torchancen kreieren, aber ohne einen großen Vollstrecker verliert man gegen Marseille manchmal auch 3:0. Vorbereitungen, Darstellungen und Strukturen haben sich dem Ergebnis zu unterwerfen! Inhalte und Resultate wollen erfasst und erzielt werden und sind (im Sport, sowie im Denken) keine potenziell leicht anzueignenden Allgemeinplätze für diverse Methoden und Techniken.
Eine letzte Wurzel der Kritik am klassischen Mittelstürmer kann man finden, wenn man – wie es die Kritiker sicher tun – nach Barcelona schaut. Die überragende Mannschaft des letzten Jahrzehnts spielt zwar auf der Taktiktafel mit einem Mittelstürmer, aber realtaktisch ist Messi meist überall auf dem Platz zu finden. Nun warne ich davon, dass man immerzu versucht, den FC Barcelona zu kopieren. Die Stärke des FC Barcelona liegt unverkennbar in der Spielweise, aber auch darin, dass dort zurzeit die beinahe kosmische Konstellation vorherrscht, die perfekten Spieler dafür zu haben. Das wird sich nicht bis ins Unendliche fortführen lassen. Sicher, die Jugendarbeit des Klubs bleibt großartig und mit Thiago rückt schon die nächste Generation auf. Dennoch gilt: Thiago kann zwar die Position Xavis spielen, aber seine Name ist Thiago und nicht Xavi. Man wird immer Spieler finden, die alle Positionen im Barca-System ausfüllen können, aber niemals wieder solche, die die Positionen so ausfüllen, wie es aktuell der Fall ist. Deshalb warne ich vor diesem „Barcelonismus im Fußball“. Man kann ein solches System nicht ohne weiteres in anderen Mannschaften nachahmen, weil man die Spieler Barcelonas nicht duplizieren kann. Darüber hinaus ist das Spiel von Lionel Messi so einzigartig, dass man ihn nicht als Vorbild für einen Spielertyp hinstellen kann.
Letztendlich speist sich also die Kritik an der Spielweise Gomez‘ vor allem aus einer falschen Priorisierung im Fußball, einem fragwürdigem denkerischen Zeitgeist und dem Fehler, bei der Bewertung Barcelonas die Einzigartigkeit der handelnden Akteure nicht stark genug zu gewichten.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,821289,00.html
Fand den größenteils daneben.
Dann fand ich einen beeindruckenden Kommentar im Spiegelforum vom User "nietzscheaner66" hierzu:
http://forum.spiegel.de/f22/bayern-torjaeger-mario-gomez-nur-im-strafraum-ein-star-56502-7.html
Über den Stürmer im Fußball – Ein Plädoyer für Mario Gomez
„Ein Stürmer wird an Toren gemessen.“ Einer jener Sätze, dessen Wahrheit so offenkundig scheint, dass man ihn als trivial bezeichnen möchte. Einer jener Sätze, dem das aus dem „Doppelpass“ bekannte Phrasenschwein einen Löwenanteil seiner monetären Füllung verdankt. Aber wird diese Wahrheit heute noch geglaubt? Gilt sie noch?
Unter den zahllosen Beobachtern und Kommentatoren des aktuellen Fußballgeschehens ist es eine der am kontrovers diskutiertesten Fragen: Immer wieder ist Mario Gomez der Ausgangspunkt einer sehr hitzigen Debatte, die sich nach beinahe jedem Spiel an ihm entzündet. Egal, wie viele Tore Gomez beisteuert – ob 2, ob 3, ob 4 – niemals verstummen jene Stimmen, die ihn als - überspitzt gesagt – zweitrangigen Fußballprofi abtun wollen. Woraus speist sich deren Kritik? Jedenfalls nicht daraus, dass er zu wenig Tore schießt. Ihm wird vorgehalten, technisch zu schlecht für fußballerische Spitzenleistungen zu sein. Seine Tore werden verächtlich als leichte Beute, „Stolper-Tore“ oder glückliche Ereignisse abgetan. Glorifiziert werden daher Stürmer des mitspielenden Typs, wie sie Ibrahimovic, Eto’o, van Persie, CR, Aguero oder Tevez darstellen. Auch Rooney - belegt mit dem sehr internettypischen Begriff „False Nine“ - wird Gomez auf ganzer Linie vorgezogen. Gomez; und er dient hier nur als pars pro toto für den klassischen Mittelstürmer; sei ein Relikt aus alter Zeit und heute nicht mehr zeitgemäß.
Woher kommt diese merkwürdige Vorstellung, die letztendlich darauf hinaus läuft, dass ein mitspielender Stürmer, der 15 Tore in einer Saison schießt, von denen 12 technisch anspruchsvoll waren oder nach Sololäufen erzielt wurden, besser sein soll als ein klassischer Mittelstürmer, der 30 Tore in der Saison bei 28 Abstauber -Toren erzielt?
Aus meiner Sicht geht eine solche Kritik auf den alten Slogan der römischen Kaiser über die Gladiatorenkämpfe in der Arena zurück. „Panem et circenses.“ – Brot und Spiele. Wer nach technischen Finessen mehr als nach allem anderen lechzt, frönt damit dem Starkult. Der Vorstellung, dass Mannschaften nur notwendige Kollektive sind, um Stars, großen individuellen Könnern, ein Biotop des Genialen bieten zu können. Für solche Kritiker geht es im Fußball vor allem um das Spektakel. Es geht beim Fußball letztendlich – das sei nicht geleugnet – wie in jedem Massensport seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in der Tat um eine gigantische Show. Sport ist den Massen ein gewaltiges Opiat geworden, dass die Religion – ehemals wirkungsvollstes Narkotikum des Geistes – von diesem Platz verdrängt hat. Nur bezieht sich dieser Schaucharakter des Sports eher auf seine Vermarktung, nicht aber auf Abläufe innerhalb desselben – wie von den Kritikern des klassischen Mittelstürmers offenbar angenommen.
Ziel der Sportart Fußball ist es, am Ende des Spiels mindestens ein Tor mehr als die gegnerische Mannschaft erzielt zu haben. Das ist die Definition eines Sieges in dieser Sportart. Daher muss unbedingt folgender Satz gelten: Die Qualität von Toren bemisst sich allein (!) nach ihrer Quantität. Dies ist nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten aufzufassen, sondern allein nach für das Spiel relevanten. Ästhetische Unterschiede zwischen Toren mag es geben (siehe: Tor des Monats, etc.), aber diese sind Teil des Spektakels und der Show. Solche Tore elektrisieren die Massen, sind aber für das eigentliche Spiel nicht wertvoller als andere. Dieser fundamentale Sachverhalt nimmt schon einmal dem Ansatzpunkt der Kritiker, dass der Anspruch des erzielten Tores etwas über die Qualität des Stürmers sage, jeglichen Boden. Distanzschüsse, Solo -Tore und Resultate aus schönen Kombinationen sind objektiv nicht mehr wert, als Abstauber- oder Stolper - Tore. Wäre es anders, müsste man für einen Distanzschuss im Ergebnis 2 Tore der Mannschaft des Schützen gutschreiben bzw. die Kritiker müssten dieses fordern.
Durch einen solchen Kunstgriff würde sich Fußball dem Basketball annähern, in dem es auch 3 Punkte für Würfe aus größerer Distanz gibt. Angesichts der Tatsache, dass im Fußball viel weniger Tore fallen, als im Basketball, allerdings eine absurde Vorstellung.
War nicht Gerd Müller, der größte aller Stürmer, auch eher ein Spielertyp, dessen Ideal in erster Linie darin bestand, Tore zu erzielen? Seine technischen Fähigkeiten waren zwar besser, als landläufig bekannt (man erinnere sich an seine Doppelpässe mit Beckenbauer!), aber darüber hat er sich nie definiert. Bei den hunderten und aber-hunderten Toren, die er erzielt hat, ist das auch kein Wunder… Nun versucht man von Seiten der Kritiker jene Argumentationslinie zu entwickeln, die einen Graben zwischen dem heutigen Spiel und dem vergangener Tage ausheben will. Heute -so der Tenor – müsse ein Stürmer mehr sein als nur Tormaschine. Aber warum nur? Sicher, das Spiel ist heute im Großen und Ganzen schneller und zuweilen auch technisch versierter geworden.
Das Ziel des Spiels hat sich aber nicht geändert. Ein Stürmer ist nach wie vor das Ende einer kreativen Kette. Warum wird es als kritisch gesehen, wenn er seine primäre Aufgabe perfekt ausfüllt? Gerade im heute aktuellen (und von mir sehr geschätzten) 4-2-3-1 System muss ein Stürmer doch gar nicht mehr sein, als eine Tormaschine. Wenn man wie Gomez wahlweise Ribery – Müller – Robben oder Podolski, Schürrle, Götze – Özil – Müller und dazu noch Schweinsteiger als Organisator hinter sich hat; muss man da aktiv am kreativen Prozess teilnehmen? Die Stärke dieses Systems besteht doch gerade darin, dass man das Mittelfeld mit technisch und spielerisch brillanten Akteuren verdichtet und es sich so leisten kann, mit nur einem Stürmer zu agieren. So gesehen füllt Gomez diese Position mit seiner Interpretation perfekt aus. Wenn Gomez‘ Tore also nichts weiter, als leichte Beute oder Glück sind, erklärt man damit im historischen Sinne den klassischen Mittelstürmer zu einer Art Müllplatz für Spieler, die für alles andere zu schlecht sind. Mit dem Gedanken des Leistungssports ist eine solche Vorstellung unvereinbar und daher absurd. Man bedenke nur, welche Giganten man damit beleidigen würde: Neben Gerd Müller wären da z.B. noch: Seeler, van Basten, Kempes, Butrageno, Ronaldo, van Nistelrooy, …
Ein anderer Aspekt dieser Mittelstürmer – Kritik hat seine Wurzel möglicher Weise in der heutigen Pädagogik und ist möglicher Weise deshalb bei den jüngeren Kritikern relevant: Grundsätzlich wird heute vielerorts die These vertreten, dass – abstrakt gesagt – die Vorbereitungen und Darstellungen einer Handlung wertvoller seien, als diese Handlung und das Ergebnis der Handlung selbst. Schreckliches Stichwort für diesen Niedergang des Geistes ist das in der Bildungssprache inflationär gebrauchte Wort der „Kompetenzen“. Konkret gesagt: Bei einer Matheaufgabe gelten die notwendigen Umformungen und Operationen als wertvoller, als das finale Ergebnis, da man zur Erlangung desselben nur noch den in Form gebrachten Term in den Taschenrechner eingeben muss. Bei Präsentationen und Texten wird auf Gestaltung und Struktur mehr Wert gelegt, als auf den Inhalt. Analog gilt demnach im Fußball, dass das Kreieren von Torchancen höher zu bemessen sei, als deren Nutzung, da man oft nur noch – wie Gomez – den Fuß hinhalten muss. Nur muss gefragt werden, wozu Torchancen zu kreieren sind. Um das Ziel des Spiels zu erfüllen, welches im Erzielen von Toren besteht. Man kann zig Torchancen kreieren, aber ohne einen großen Vollstrecker verliert man gegen Marseille manchmal auch 3:0. Vorbereitungen, Darstellungen und Strukturen haben sich dem Ergebnis zu unterwerfen! Inhalte und Resultate wollen erfasst und erzielt werden und sind (im Sport, sowie im Denken) keine potenziell leicht anzueignenden Allgemeinplätze für diverse Methoden und Techniken.
Eine letzte Wurzel der Kritik am klassischen Mittelstürmer kann man finden, wenn man – wie es die Kritiker sicher tun – nach Barcelona schaut. Die überragende Mannschaft des letzten Jahrzehnts spielt zwar auf der Taktiktafel mit einem Mittelstürmer, aber realtaktisch ist Messi meist überall auf dem Platz zu finden. Nun warne ich davon, dass man immerzu versucht, den FC Barcelona zu kopieren. Die Stärke des FC Barcelona liegt unverkennbar in der Spielweise, aber auch darin, dass dort zurzeit die beinahe kosmische Konstellation vorherrscht, die perfekten Spieler dafür zu haben. Das wird sich nicht bis ins Unendliche fortführen lassen. Sicher, die Jugendarbeit des Klubs bleibt großartig und mit Thiago rückt schon die nächste Generation auf. Dennoch gilt: Thiago kann zwar die Position Xavis spielen, aber seine Name ist Thiago und nicht Xavi. Man wird immer Spieler finden, die alle Positionen im Barca-System ausfüllen können, aber niemals wieder solche, die die Positionen so ausfüllen, wie es aktuell der Fall ist. Deshalb warne ich vor diesem „Barcelonismus im Fußball“. Man kann ein solches System nicht ohne weiteres in anderen Mannschaften nachahmen, weil man die Spieler Barcelonas nicht duplizieren kann. Darüber hinaus ist das Spiel von Lionel Messi so einzigartig, dass man ihn nicht als Vorbild für einen Spielertyp hinstellen kann.
Letztendlich speist sich also die Kritik an der Spielweise Gomez‘ vor allem aus einer falschen Priorisierung im Fußball, einem fragwürdigem denkerischen Zeitgeist und dem Fehler, bei der Bewertung Barcelonas die Einzigartigkeit der handelnden Akteure nicht stark genug zu gewichten.