Internetzensur in Deutschland - coming soon

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Vor 2 Jahren hielt ich es noch für ausgeschlossen, dass die hiesige Regierung überhaupt nur ernsthaft darüber nachdenkt, eine Infrastruktur zur Internetzensur zu bauen. Heute haben wir schon eine, sie ist nur noch nicht angestellt.
Vor 5 Jahren wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass hierzulande einmal verdachtsunabhängig sämtliche Telekommunikationsverbindungsdaten aufgezeichnet und für 6 Monate gespeichert würden. Wird seit 2 Jahren getan.
Vor 10 Jahren hätte ich nicht damit gerechnet, dass jemals das Bankgeheimnis fällt. Auch das ist längst der Fall.

Man weiß nie was die Zukunft bringt, bei unserer Regierung muss man inzwischen schon mit fast allem rechnen. Paranoid und Aktionismusgeil genug sind unsere Politiker auf jeden Fall.
In diesem Fall würde die weiße Liste ja nicht von der Regierung oder einer Behörde gepflegt. Im Zweifelsfall wäre also immer der Provider oder Hoster der Buhmann.

Ich behaupte ja nicht, dass es auf jeden Fall zu weißen Listen kommen wird, aber es wäre für die beteiligten Firmen auf jeden Fall die risikofreiste und kostengünstigste Methode den Vorgaben des aktuellen Entwurfs des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages Rechnung zu tragen.

Mal abwarten, die Suppe wird ja selten so heiß gegessen wie sie gekocht wurde.
 
Ab 18

Vor mehr als 10 Jahren habe ich einmal im Auftrag des BMWI an einer Studie zum Thema Jugendschutz im Internet mitgearbeitet. Das war anstrengend, da das Thema Spielball zahlreicher politischer Interessen ist, die sich dort gerne wiederfinden möchten, aber die in der Studie wiedergegebene Ausgangslage ist heute noch unverändert. Ich habe mein persönliches Fazit in kürzerer Form in einem Artikel abgelegt, aber auch dieses Ergebnis ist noch zu lang und zu technisch. Im Grunde kann man die aktelle Situation wie in Jugendschutzfilter saugen und dafür gibt es einen Grund kurz und knackig darstellen.

Eine Lösung für dieses Problem gibt es nicht. Es ist auch heute, 11 Jahre nach der Studie, noch einfacher, sicherer und günstiger, Inhalte unbewertet ins Internet zu stellen oder als Privatanbieter 'frei ab 18' zu bewerten, als sich um das niedrigste legale Rating für seine Inhalte zu bemühen. Und so sind konsequenterweise auch meine Sites alle mit dem höchsten generierbaren ICRA-Label versehen, das Minderjährige konsequent ausschließt (wenn es denn jemanden kümmern würde, daß ein solches Label an meiner Site klebt).

Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist nun nichts weiter als ein Hilferuf des Staates. Der Staat will nun endlich nach Jugendschutzkriterien bewertete Angebote im Internet, und dabei muß er Bedingungen erzeugen, die einerseits bewirken, daß die Bewertungen nicht zu niedrig sind, andererseits es aber Anbietern nicht attraktiv erscheinen lassen, sich sicherheitshalber zu hoch zu bewerten oder gar unbewertet zu publizieren (was einer "ab 18"-Einstufung gleich käme).

Der Arbeitsentwurf, der dabei veröffentlicht wurde, setzt allen Anbietern - Inhaltsanbietern, Hostern und Providern - jetzt die Pistole auf die Brust. Es ist die Art der Politik zu sagen "Löst dieses Problem jetzt, oder wir machen Regeln, mit denen niemand zufrieden ist". Blöd nur, daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich dabei in jedem Fall so verändern werden, daß die Transaktionskosten für eine Veröffentlichung von irgendwas steigen werden: Kostenlos ist grad teurer geworden.

Andererseits ist das auch genau eine Linie der Politik der aktuellen Regierung: Es sind die kostenlosen Angebote in ausreichender bis exzellenter Qualität, die derzeit den Medienwandel treiben. Unsere Klientelregierung hat nun versprochen, dieses Problem zu beheben. Konsequenterweise ist dieser Entwurf eines Jugendmedienschutzes auch ein Anschlag auf die kooperative Kultur des Internets, denn es gilt, kostenlose Angebote unattraktiver zu machen, um kompetetiven, traditionell geldgestützt operierenden Sites mehr Luft zum Atmen zu geben. Da diese Sites auch traditionellen Regulierungsinstrumentarien zugänglich sind, ist dies politisch und wirtschaftlich wünschenswert.

Die Analysen und Aufrufe von 1 und 1,Andi Popp, Thomas Stadler, Nerdcore und Ingo Jürgensmann zeigen die wichtigen Punkt auf. Sie zeigen aber nicht, daß sich hier gerade eine unheilige Allianz von Politik und Großmedien aufbaut, denen eine solche Entwicklung genau die gewünschten Veränderungen erzeugt:

1. Die Publikation von kostenlosen, kooperativ erzeugten freien Inhalten wird aufwendiger.

2. Es wird die Überwachungs- und Zensurinfrastruktur legitimiert, die schon im Rahmen der Zensursula-Diskussion gewünscht wurde.

3. Das ganze wird am Ende ein Muster-Anwendungsfall für den elektronischen Personalausweis, der notwendig wird, um sich beim Provider und beim Site-Betreiber für den Internet-Zugang und den Inhaltszugriff zu legitimieren und die Bedarfsträger können endlich mit Identitäten statt IP-Nummern operieren, wenn sie ermitteln wollen.

4. Mit diesen Identitäten lassen sich auch Meldungen und ihre Weitergabe ausgezeichnet tracken, sodaß wir auch eine technische Basis für den Verteilschlüssel der Einnahmen aus dem neuen Leistungsschutzrecht haben.

Diesen politischen und wirtschaftlichen Drücken stellt man sich entgegen, wenn man gegen diesen Entwurf ist. Um den Jugendschutz geht es dabei nur am Rande.

Andererseits kann man das ganze natürlich auch als die neue Kampagne der etablierten Parteien für die Piratenpartei interpretieren.

Quelle: blog.koehntopp.de

(drauf aufmerksam geworden via Netzpolitik)
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Zugangsprovider-Haftung soll nicht erweitert werden

Nach der recht heftigen Reaktion auf den letzten Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages gibt es jetzt ein langsames Zurückrudern. Bisher blieb es allerdings bei Lippenbekenntnissen, aber so lange der beanstandete Entwurf noch aktuell ist, kann man darauf nicht viel geben.

Mal abwarten ob sich das nur als Teil einer Salamitaktik entpuppt oder ob man bei der Staatskanzlei wirklich einsichtig ist.
 
Bundesregierung rückt von Gesetz über Internet-Sperren ab

Berlin — Die Bundesregierung rückt von dem Vorhaben ab, kinderpornografische Inhalte im Internet per Gesetz zu sperren. Das Bundeskanzleramt übermittelte Bundespräsident Horst Köhler ein Schreiben mit ergänzenden Erläuterungen zu den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags, wie die Nachrichtenagentur AFP aus Regierungskreisen erfuhr. Die Bundesregierung beabsichtige statt der Sperrung "eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet", heißt es laut "Spiegel Online" in dem Schreiben an das Staatsoberhaupt.

Die schwarz-gelbe Koalition hatte die noch von Schwarz-Rot beschlossene Sperrung von Kinderpornografie im Internet bei ihrem Amtsantritt auf Wunsch der FDP gestoppt und zunächst eine Löschung entsprechender Seiten angekündigt. Im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungspartner darauf verständigt, diese Praxis nach einem Jahr zu überprüfen. Nun hat sich die Regierung aber offenbar endgültig auf einen Verzicht festgelegt. Die Sperrung der Seiten hatte Befürchtungen einer Internetzensur auch in anderen Bereichen genährt und war außerdem als unwirksam kritisiert worden.

Bis es ein neues Löschgesetz geben werde, wollten sie sich "auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen", heißt es dem Bericht zufolge in dem Schreiben der Bundesregierung.

http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5hz4ri65O66KELBmk1tAcRCK8C1hg
 
Viel Blabla

Sagt man, will aber die Zensur trotzdem Gesetzlich verankern und dann selbstverstndlich niemals durchführen :z
Also nichts weiter als die nächste Bürgerverarsche Deluxe oder glaubt den Arschgeburten in der Regierung noch wer?
 
@Apokus: Ich würde es begrüssen, wenn die Titulierung für "unsere Volksvertreter" demnächst etwas weniger blumig ausfallen könnten, danke!
 
Also nichts weiter als die nächste Bürgerverarsche Deluxe oder glaubt den [...] in der Regierung noch wer?
Seit der Dicke vor gut 20 Jahren von den blühenden Landschaften erzählte und ich danach 13 Jahre in Plattencity absitzen musste, bin ich extrem misstrauisch. :ugly
 
http://www.tagesschau.de/inland/kinderpornogesetz100.html

Nun hat der Bundespräsident das Gesetz doch noch unterschrieben. Nachdem es dann im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, wird es dann in Kraft treten.

Ob das Gesetz wirklich nicht angewandt wird, muss sich wohl noch zeigen. Laut Bundesregierung soll das nicht der Fall sein, aber mehr als Lippenbekenntnisse gab es von dieser bisher nicht. Die Infrastruktur zum Sperren dürfte bei den Providern schon längst stehen.

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Auch in anderen Teilen der Welt hat sich in den letzten Wochen was getan:

-Frankreich bekommt auch Internetzensur
Und mit der Kunst hat man dort auch so seine Probleme. Anders als beim deutschen Sperrgesetz muss das Sperren einer Seite aber durch einen Richter abgesegnet werden.

-Italiens Provider müssen nach Gerichtsurteil nun Pirate Bay sperren
Der Erfolg hält sich aber in Grenzen. :D

-Australien will YouTube zensieren lassen, Pakistan lässt Videos über eine verbale Endgleisung des Präsidenten blocken und der Iran blockt GMail und startet eigenen E-Maildienst:
http://arstechnica.com/tech-policy/news/2010/02/pakistan-iran-australia-lets-censor-google.ars
 
http://www.spiegelfechter.com/wordpress/2239/niemand-hat-die-absicht-internetsperren-zu-errichten

Was national gescheitert ist kommt nun (mal wieder) auf dem EU-Umweg.

Wobei, "gescheitert" kann man im Grunde genommen nicht sagen, denn Zensursulas Gesetz hat ja ordnungsgemäß Bundestag und Bundesrat durchlaufen und ist, nachdem es vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, in Kraft getreten.

Die Anwendung des Gesetzes hindert zur Zeit im Prinzip nur eine Dienstanweisung an das BKA, das geltende Gesetz nicht anzuwenden. Nun mal ganz davon abgesehen, dass einer solche Anweisung durch die Bundesregierung nicht gerade von großem Respekt gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zeugt, so hat sie gegenüber der sauberen Methode eines Aufhebungsgesetzes den Vorteil, dass man sie im Nu zurückziehen kann.

Ein Aufhebungsgesetz wäre wohl der richtige und saubere Weg gewesen, das ebenso wirkungslose wie zu Missbrauch einladende Sperrgesetz mit seinen geheimen Listen wieder aus der Welt zu schaffen. Bei den Oppositionsparteien dürfte einer derartige Gesetzesinitiative gegenwärtig kaum auf Widerstand stoßen.
Wenn man die Aufhebung aber, warum auch immer, wieder rückgängig machen wollte, könnte man das Aufhebungsgesetz nicht wie eine simple Dienstanweisung mal eben schnell zurückziehen. Dazu müsste man ein Gesetz neu im Bundestag einbringen und es müsste dann wieder alle Stationen (Bundestag, Bundesrat, Unterschrift durch Bundespräsidenten, Verkündung) durchlaufen.

Alles in allem könnte man vermuten, dass die Bundesregierung bei Erteilung der Dienstanweisung an das BKA, die EU-Initiative bereits im Hinterkopf hatte. Falls es zu einer EU-weiten Richtlinie zum Sperren von Inhalten im Netz kommt, könnte sich die Bundesregierung mal wieder als das arme Opfer der (bösen) EU darstellen, welches von der EU zur Umsetzung der Sperren gezwungen wurde. Man zieht schnell die Dienstanweisung zurück und schon hat man seine Internetzensur.
Ein solches scheinheiliges Kasperle-Theater gab es ja bereits bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Damals wie heute dürften es im Groben die gleichen Leute sein, die sich in der Vergangenheit massiv für die Richtlinie stark gemacht haben und bei deren Umsetzung in nationales Recht so tun als wollten sie das gar nicht.

Apropos Vorratsdatenspeicherung, bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem Thema könnte man ja bereits sehen, dass das Gericht versucht möglichst nicht mit der EU-Judikative auf Konfrontationskurs zu gehen. Gegen EU-weite Sperren dürfte eine Verfassungsbeschwerde als nur eingeschränkt Erfolg versprechen.
 
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