Musikindustrie sucht Sündenbock: Die Raubkopierer-Lüge
Was haben Osama bin Laden und Leute, die sich Musik im Internet herunterladen gemeinsam? Richtig: Beides sind "Terroristen".
Den Ausdruck gebraucht zumindest Jack Valenti, Altstar unter Amerikas Entertainment-Lobbyisten bei jeder passenden Gelegenheit. Also kurzer Prozess mit Napster- und Gnutella-Fans, mit Raubkopierern, wie die kriselnde Musikbranche fordert? Halt, nicht so schnell. Was die Plattenbosse nämlich unter den Tisch fallen lassen: auch die Musikhörer haben Rechte, zumindest bisher.
Alptraum für die Plattenbosse
Die Traumwelt der Popindustrie ist für die Plattenbosse zum Alptraum geworden. Die Umsätze sind im vorigen Jahr allein in Deutschland um zehn Prozent eingebrochen, und Erklärungen tun Not. Doch jetzt bläst die Branche zum Angriff - denn der Schuldige ist angeblich gefunden. Keine Rede von Konjunkturschwäche, 11. September und von seit Jahren prognostizierten Umsatzrückgängen. Millionen Raubkopierer daheim sind angeblich schuld - Musikpiraten mit Computer, CD-Brenner und Internetanschluß
Alles verboten!
Zomba, BMG, Universal - reihum kündigen Plattenfirmen an, Musik-CDs mit Kopierschutzprogrammen zu versehen. Denn jeder Musikhörer ist potentiell verdächtig - Kids, Studenten Hausfrauen, selbst Journalisten. Die Konsequenz: Nur noch Audio-Geräte können die Platten abspielen. Musikhören am PC, Überspielen zum privaten Musikgenuss auf tragbaren Minidisk- oder MP3-Playern werden immer mehr blockiert.
Und selbst Auto-CD-Player oder neuartige Multistandard-Geräte, die von der DVD bis zur MP3-CD alles abspielen können, werden lahmgelegt. Phonomagazine haben bei Tests auch gemessen, dass CDs mit dem Aufdruck Copy-Protection schneller verschleißen und selbst alte CD-Spieler mitunter aufgeben. Die Hifi-Hersteller empfehlen jedenfalls in einem Rundschreiben an Händler in Deutschland, bei Problemen mit kopiergeschützten CDs die Platten zurückzunehmen. "Das Problem der Kopierschutzmechanismen liegt darin, dass diese Verfahren gegen den CD Standard verstossen und damit nicht mehr mit den Abspielgeräten kompatibel sind."
Doch für die Musikbranche ist die Sache klar. Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände:
"Wir haben eine GFK-Untersuchung, basierend auf 10.000 Usern, also sehr breit angelegt. Dort wird festgehalten, dass 182 Mio CD-Rs mit Musik darauf gebrannt werden, aus über 300 Mio. insgesamt gebrannten CD-Rs. Diese 182 Millionen belegen, dass das eine größere Stückzahl ist, als wir an CD-Longplays verkaufen, da hatten wir nämlich nur 172 Millionen."
Allerdings sind auch andere Statistiken in Umlauf, die belegen dass CD-Brenner und Internet nicht am Umsatzrückgang schuld sind. Und eine aktuelle Allensbach-Studie hat herausgefunden, dass 70 Prozent der Online-Nutzer mehr oder genauso viel Musik-CDs kaufen wie vorher.
Frage der Qualität?
Dazu gibt es das Beispiel England. Dort haben Proteste der "Campaign for Digital Rights" vor Plattengeschäften dazu geführt, dass geschützte CDs aus dem Handel verschwunden sind. Trotzdem sind die Umsätze in Großbritannien nicht eingebrochen. Vielleicht ist es ja auch eine Frage der Qualität? Tim Renner sieht jedenfalls eine Mitschuld der Plattenfirmen: "Die letzten Jahre wurde zu sehr geschaut, was im Radio läuft. Das ist Musik, die niemanden stört. In dem Moment, wo Musik nicht stört, wird Musik auch keinen mehr begeistern. In dem Moment, wo Musik nicht begeistert, ist Musik nicht wichtig. In dem Moment, wo Musik nicht wichtig ist, kauf ich sie mir nicht."
Wütende Proteste
Und auch in Deutschland formiert sich inzwischen Protest. Bei Hifi-Herstellern wie Philips sind nach Firmenangaben tausende Beschwerden über Abspielprobleme eingegangen. Und Jörg Dennis Krüger, Betreiber der Internetseite "Gegen den Kopierschutz", erklärt: "Ich lasse mir von den Plattenfirmen nicht vorschreiben, wo und wie ich meine Musik hören darf." Die Proteste stützen sich auch auf das Urhebergesetz. Denn was viele Kunden nicht wissen: wer eine CD kauft, hat auch das Recht, deren Songs zu kopieren, solange er keine Geschäfte damit macht oder sie frei für alle ins Internet stellt. Das bekräftigt auch die GEMA. Die Gesellschaft zum Schutz des Urheberrechts möchte lieber eine Abgabe auf CD-Brenner durchsetzen, wie es sie seit Jahren auf Videorekorder gibt. Doch die Industrie sträubt sich.
Zur Kasse, bitte!
Und die Plattenfirmen haben wieder andere Pläne. In Zukunft möchten sie mehrfach kassieren: Einmal für die CD zum Anhören, das bisher mögliche Umkopieren beispielsweise auf einen MP3-Player fiele dann unter Sondernutzung und würde nur über Internet-Bezahldienste funktionieren. Und das Recht auf die Privatkopie? "Sie können sich ja weiter eine Musikkassette aufnehmen." Klarer Fall, die Raubkopierer-Phobie der großen Plattenfirmen hat in Wirklichkeit andere Gründe. Die Argumente stehen auf wackeligen Beinen.
Shooting-Star Shaggy
Und dann ist da noch Shaggy, gerade mit seiner neuen Platte erfolgreich in der Hitparade und das beste Beispiel gegen die Argumente der Plattenindustrie. Seine neue Platte kam in USA schon vor zwei Jahren heraus und lag wie Blei in den Regalen. Bis ein DJ aus Hawaii einen Song in der berühmt-berüchtigten Tauschbörse Napster entdeckte, sich herunterlud und im Radio rauf und runterspielte. Die Platte schoss daraufhin raketengleich in die Hitparaden.
So schön kann das digitale Zeitalter sein
von Achim Zeilmann