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- Feb 29, 2004
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Erst war Julianas Großmutter nur ein bisschen vergesslich: Sie wollte ihr das Taschengeld doppelt geben oder einen Koffer packen, der längst fertig im Flur stand. Doch die Oma ist krank, ihr Gehirn funktioniert immer schlechter, sie braucht ständig Hilfe. Wie die Familie damit klarkommt, beschreibt Dein SPIEGEL, das Nachrichtenmagazin für Kinder.
Oma Elfriede und Juliana sitzen nebeneinander auf der kleinen Bank in der Küche, Tulpen stehen auf dem Tisch, eine Kanne Kaffee und Plätzchen. Der Name von Julianas Oma, also Elfriede, bedeutet so viel wie "Von den Elfen bewacht", und weil Juliana das weiß und weil sie Elfen liebt, hat sie auch keine Angst um Oma.
Denn ihre Oma ist krank.
"Los, Oma! Häkel auch!", sagt Juliana, sie ist acht Jahre alt, hat lange blonde Haare. Oma ist schon 79, sie ist seit 55 Jahren mit ihrem Mann verheiratet, sie hat zwei Söhne und drei Enkelkinder. Sie lebt in einem Haus in Rahden bei Minden in Nordrhein-Westfalen.
Oma nimmt die bunte Wolle in die Hand. Früher arbeitete sie lange als Schneiderin, jetzt solle sie, sagt Juliana ihr, mal mit den Fingern häkeln. Aber das hat Oma noch nie gemacht. Juliana zeigt es ihr.
"Oma hat die Vergessens-Krankheit"
Sie redet gern mit ihrer Oma, die beiden lachen zusammen, Juliana sagt noch einmal: "Los, Oma! Versuch es!"
Von außen sieht alles ganz normal aus. Das liegt daran, dass man die Krankheit von Oma Elfriede nicht sehen kann. Es ist schließlich nicht der Fuß, der krank ist, oder der Rücken. Es ist ihr Gehirn.
"Oma hat die Vergessens-Krankheit", sagt Juliana, so nennt sie die Krankheit ihrer Oma. Ärzte nennen das Demenz. Es gibt verschiedene Arten einer Demenz, eine davon heißt Alzheimer. Die Alzheimer-Demenz kommt am häufigsten vor, fast immer bei alten Leuten wie Oma Elfriede.
Vor einem Jahr hat es angefangen. "Oma wollte mir zweimal Taschengeld geben", sagt Juliana. Sie hat auch vergessen, Butter in das Spargelwasser zu geben oder Backpulver in den Kuchenteig. Einmal stand ihre Oma unten im Flur ihres Hauses und sagte, sie müsse unbedingt ihre Reisetasche packen. Dabei hatte sie die Tasche längst gepackt. Das passiert, weil alles nebelig ist in Oma Elfriedes Kopf.
Mittlerweile vergisst sie sogar ziemlich häufig etwas. Das ist nicht immer leicht für Julianas Oma. Früher funktionierte ihr Kopf immer ganz besonders gut. "Geh zu Elfriede! Die weiß alles", das sagten die anderen Leute.
"Nicht dumm, nur vergesslich"
Heute hat Oma Elfriede Sorge, dass andere denken könnten, sie sei dumm. Aber sie ist nicht dumm. "Sie ist nur vergesslich", das weiß Juliana genau. Sie kennt sich gut aus mit der Vergessens-Krankheit. Zusammen mit ihrer Mutter hat sie früh im Altersheim alte Leute besucht. Sie kannte die Krankheit, bevor ihre Oma sie hatte.
"Häkeln mit den Fingern? Das kann ich nicht", sagt die Oma.
"Das kannst du doch!", sagt Juliana, "ich habe dir schließlich gezeigt, wie es geht."
Als Juliana diesen Satz sagt, sieht ihre Mutter sie an, als wollte sie ihre Tochter an etwas erinnern. Daran, dass Oma Elfriede sich nichts Neues merken kann. Auch das liegt an der Krankheit.
Juliana und ihre Oma legen das Häkelzeug weg, sie wollen singen. Juliana klettert auf den Schoß ihrer Oma. So haben sie es immer gemacht.
"Wie das Fähnchen auf dem Turme", singen sie, oder: "Kommt ein Vogel geflogen". Seit Oma krank ist, singt sie wieder lieber Kinderlieder. In dem Nebel in ihrem Kopf gibt es ein paar Stellen, an denen es klar ist. Da liegen Erinnerungen, die ganz lange bleiben, besondere Erlebnisse, schöne oder nicht so schöne. Meist stammen diese Erlebnisse aus der Kindheit.
"Es ist wie bei kleinen Kindern"
Oma Elfriede hat als Kind gern gesungen. Also tut sie es, seit sie krank ist, wieder öfter. Sie hat als Kind gern gebetet. Also betet sie heute wieder.
Dafür vergisst sie an manchen Tagen, wann es Mittag ist, sie vergisst zu kochen. An anderen Tagen denkt sie an das Kochen, weiß aber nicht mehr, wo das Salz steht oder wo sie die Kartoffeln kaufen kann. Dreimal in der Woche kommt deshalb jetzt jemand, der ihr und ihrem Mann das Essen nach Hause bringt.
Oma Elfriede braucht ab und zu Hilfe, sie braucht Menschen, die an das denken, was sie selbst vergessen hat.
"Es ist wie bei kleinen Kindern", sagt Juliana, "die wollen ja auch, dass ihre Mütter ihnen helfen." Sie weiß, dass es bei kleinen Kindern immer besser wird, sie lernen, aber sie weiß auch, dass sich die Krankheit der Oma nicht mehr bessern wird.
Möglicherweise wird Oma Elfriede eines Tages nicht mehr zu Hause wohnen können. Vielleicht wird sie an einen Ort ziehen müssen, an dem sie gar nicht mehr allein ist, in ein Alters- oder in ein Pflegeheim, in dem es Ärzte gibt, Schwestern und andere Patienten.
Juliana will ihre Oma oft besuchen. "So oft es geht", sagt sie. Und wenn sie es mal nicht schafft, gibt es ja auch noch die Elfen.
Dieser Text ist ein Beitrag aus "Dein SPIEGEL - einfach mehr wissen", dem Nachrichtenmagazin für neugierige Kinder.
Oma Elfriede und Juliana sitzen nebeneinander auf der kleinen Bank in der Küche, Tulpen stehen auf dem Tisch, eine Kanne Kaffee und Plätzchen. Der Name von Julianas Oma, also Elfriede, bedeutet so viel wie "Von den Elfen bewacht", und weil Juliana das weiß und weil sie Elfen liebt, hat sie auch keine Angst um Oma.
Denn ihre Oma ist krank.
"Los, Oma! Häkel auch!", sagt Juliana, sie ist acht Jahre alt, hat lange blonde Haare. Oma ist schon 79, sie ist seit 55 Jahren mit ihrem Mann verheiratet, sie hat zwei Söhne und drei Enkelkinder. Sie lebt in einem Haus in Rahden bei Minden in Nordrhein-Westfalen.
Oma nimmt die bunte Wolle in die Hand. Früher arbeitete sie lange als Schneiderin, jetzt solle sie, sagt Juliana ihr, mal mit den Fingern häkeln. Aber das hat Oma noch nie gemacht. Juliana zeigt es ihr.
"Oma hat die Vergessens-Krankheit"
Sie redet gern mit ihrer Oma, die beiden lachen zusammen, Juliana sagt noch einmal: "Los, Oma! Versuch es!"
Von außen sieht alles ganz normal aus. Das liegt daran, dass man die Krankheit von Oma Elfriede nicht sehen kann. Es ist schließlich nicht der Fuß, der krank ist, oder der Rücken. Es ist ihr Gehirn.
"Oma hat die Vergessens-Krankheit", sagt Juliana, so nennt sie die Krankheit ihrer Oma. Ärzte nennen das Demenz. Es gibt verschiedene Arten einer Demenz, eine davon heißt Alzheimer. Die Alzheimer-Demenz kommt am häufigsten vor, fast immer bei alten Leuten wie Oma Elfriede.
Vor einem Jahr hat es angefangen. "Oma wollte mir zweimal Taschengeld geben", sagt Juliana. Sie hat auch vergessen, Butter in das Spargelwasser zu geben oder Backpulver in den Kuchenteig. Einmal stand ihre Oma unten im Flur ihres Hauses und sagte, sie müsse unbedingt ihre Reisetasche packen. Dabei hatte sie die Tasche längst gepackt. Das passiert, weil alles nebelig ist in Oma Elfriedes Kopf.
Mittlerweile vergisst sie sogar ziemlich häufig etwas. Das ist nicht immer leicht für Julianas Oma. Früher funktionierte ihr Kopf immer ganz besonders gut. "Geh zu Elfriede! Die weiß alles", das sagten die anderen Leute.
"Nicht dumm, nur vergesslich"
Heute hat Oma Elfriede Sorge, dass andere denken könnten, sie sei dumm. Aber sie ist nicht dumm. "Sie ist nur vergesslich", das weiß Juliana genau. Sie kennt sich gut aus mit der Vergessens-Krankheit. Zusammen mit ihrer Mutter hat sie früh im Altersheim alte Leute besucht. Sie kannte die Krankheit, bevor ihre Oma sie hatte.
"Häkeln mit den Fingern? Das kann ich nicht", sagt die Oma.
"Das kannst du doch!", sagt Juliana, "ich habe dir schließlich gezeigt, wie es geht."
Als Juliana diesen Satz sagt, sieht ihre Mutter sie an, als wollte sie ihre Tochter an etwas erinnern. Daran, dass Oma Elfriede sich nichts Neues merken kann. Auch das liegt an der Krankheit.
Juliana und ihre Oma legen das Häkelzeug weg, sie wollen singen. Juliana klettert auf den Schoß ihrer Oma. So haben sie es immer gemacht.
"Wie das Fähnchen auf dem Turme", singen sie, oder: "Kommt ein Vogel geflogen". Seit Oma krank ist, singt sie wieder lieber Kinderlieder. In dem Nebel in ihrem Kopf gibt es ein paar Stellen, an denen es klar ist. Da liegen Erinnerungen, die ganz lange bleiben, besondere Erlebnisse, schöne oder nicht so schöne. Meist stammen diese Erlebnisse aus der Kindheit.
"Es ist wie bei kleinen Kindern"
Oma Elfriede hat als Kind gern gesungen. Also tut sie es, seit sie krank ist, wieder öfter. Sie hat als Kind gern gebetet. Also betet sie heute wieder.
Dafür vergisst sie an manchen Tagen, wann es Mittag ist, sie vergisst zu kochen. An anderen Tagen denkt sie an das Kochen, weiß aber nicht mehr, wo das Salz steht oder wo sie die Kartoffeln kaufen kann. Dreimal in der Woche kommt deshalb jetzt jemand, der ihr und ihrem Mann das Essen nach Hause bringt.
Oma Elfriede braucht ab und zu Hilfe, sie braucht Menschen, die an das denken, was sie selbst vergessen hat.
"Es ist wie bei kleinen Kindern", sagt Juliana, "die wollen ja auch, dass ihre Mütter ihnen helfen." Sie weiß, dass es bei kleinen Kindern immer besser wird, sie lernen, aber sie weiß auch, dass sich die Krankheit der Oma nicht mehr bessern wird.
Möglicherweise wird Oma Elfriede eines Tages nicht mehr zu Hause wohnen können. Vielleicht wird sie an einen Ort ziehen müssen, an dem sie gar nicht mehr allein ist, in ein Alters- oder in ein Pflegeheim, in dem es Ärzte gibt, Schwestern und andere Patienten.
Juliana will ihre Oma oft besuchen. "So oft es geht", sagt sie. Und wenn sie es mal nicht schafft, gibt es ja auch noch die Elfen.
Dieser Text ist ein Beitrag aus "Dein SPIEGEL - einfach mehr wissen", dem Nachrichtenmagazin für neugierige Kinder.