So, los geht's:
Also was ich damit sagen wollte, ist folgendes: Wie ich schon in einem vorhergehenden Posting erwähnt habe, hat jeder Mensch von Natur aus eine Hemmung, andere Menschen zu töten. Das ist von der Natur (oder dem lieben Gott

) so eingerichtet, damit der Fortbestand der Menschheit als Art sichergestellt ist (also aus dem gleichen Grund, wieso Sex Spaß macht). Wie kommt es also, dass manche Menschen scheinbar in der Lage sind, andere Menschen zu töten? Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Zum einen ist da die Wahrnehmung: Ein Pilot in einem Kampfflugzeug, der ein anderes Kampfflugzeug abschießt ist sich natürlich bewusst, dass da ein Mensch drinnen sitzt, aber er nimmt diesen Menschen nicht wahr, er sieht nur ein Flugzeug. Ebenso ein Panzerfahrer. Für einen Soldaten im Feld ist der Feind gewöhnlich auch weit genug weg, um den nur als Silhouette wahrzunehmen, etc. Der Feind wird nicht als Mensch, sondern als Ding wahrgenommen.
Eine andere Möglichkeit ist Konditionierung. Mann kann durch körperlichen Automatismus die Hemmschwelle senken, indem man die Handlung des Tötens zu einer einstudierten automatischen Handlung macht. Das ist einer der Gründe für das Exerzieren und stetige Wiederholen gewisser Handlungen beim Militär. Aber es gibt auch geistige Konditionierung. Man kann die Wahrnehmung bzw. das Empfinden eines Menschen manipulieren, indem gewisse Inhalte immer wieder eingetrichtert werden. Ein Beispiel hierfür war z.B. in Nazi-Deutschland die immer wiederkehrende Bekrätigung in Wort und Tat, dass Juden keine Menschen sondern Ungeziefer sind, das dementsprechend vernichtet werden muss. So wurden die Juden in Fracht- oder Viehwagons in die KZs transportiert und dort mit einem Pestizid vergast. Das führte dann auch wirklich dazu, dass die Juden von vielen Deutschen damals nicht mehr als Menschen angesehen wurden und diese (also die Deutschen) dementsprechend keine moralischen Bedenken hatten, Juden zu töten.
Natürlich gibt es auch Menschen, die in ihrem Sozialverhalten gestört sind und dementsprechend keine oder zumindest keine so große Hemmschwelle haben, andere Menschen zu verletzen oder zu töten, weil sie andere Menschen allgemein nicht als gleichwertig ansehen.
Du siehst, dass die Methode der Überwindung dieser Hemmschwelle immer diesselbe ist: Der Mensch wird nicht als gleichwertiges menschliches Individuum angesehen, sondern als Ding, Tier oder einfach etwas, das weniger wert ist. Der andere Mensch wird sozusagen entmenschlicht und nicht mehr als Mensch angesehen. Das ist meiner Meinung nach das eigentliche Verbrechen, denn das Töten bzw. die Bereitschaft dazu ist nur mehr die konsequente Folge daraus. Das Entmenschlichen eines Menschen ist das Wegnehmen seiner Würde, man spricht ihm alles ab, was einen Menschen ausmacht und macht ihm zu einem Ding. Man muss sich klar darüber sein, dass jeder Mensch die Summe seiner Erfahrungen, seines Lebens, seiner Erinnerungen, seiner guten und seiner schlechten Seiten, seiner Wahrnehmungen, seiner ganzen Vergangenheit, seiner Gegenwart und all der möglichen Zukünfte. Kurzum: Jeder Mensch ist ein eigenes Universum für sich.
Es gibt da 2 Zitate, die mir in diesem Zusammenhang sehr gut gefallen:
Das erste ist aus dem Comic "V for Vendetta" (der ein oder andere kenn vielleicht die grottenschlechte Verfilmung). Dort gibt es eine Stelle, wo V zu einem Mädchen namens Evey, als die sagt, sie wäre nichts besonderes, folgendes sagt:
Everybody is special. Everybody. Everybody is a hero, a lover, a fool, a villain. Everybody. Everybody has their story to tell, even Evey Hammond. I should very much like to hear Evey Hammond's story.
Jeder Mensch ist etwas Einzigartiges und Besonderes und wer einem Menschen sein Menschsein abspricht, der nimmt ihm dies.
Das andere Zitat ist aus dem Film "Unforgiven" von und mit Clint Eastwood. Er spielt einen gealterten Kopfgeldjäger, der von tiefer Reue über seine früheren Taten gezeichnet ist. In einer Szene sagt er zu einem Jungspund, der Kopfgeldjäger werden will:
Hell of a thing, killin' a man. Take away all he's got and all he's ever gonna have.
Und das "all he's got and all he's ever gonna have" ist nicht materiell gemeint.
Vielleicht verstehst du jetzt besser, wieso manche hier darauf beharren, dass jegliches Töten moralisch verwerflich ist. Einem Menschen das Menschsein abzusprechen ist das Schlimmste, was man ihm antun kann. Das war ja auch das Ziel der Konzentrationslager der Nazis. Man wollte die Häftlinge nicht einfach nur umbringen, man wollte sie vorher so sehr entwürdigen und entmenschlichen, dass sie selbst sich nicht mehr als Menschen wahrgenommen haben. Primo Levi, ein italienischer Jude beschreibt das sehr gut in seinen Erinnerungen an seine Zeit im KZ Auschwitz. Er nannte sein Buch auch "Se questo è un uomo" ("Wenn das ein Mensch ist").
Ich empfehle außerdem den Roman "Kaltblütig" von Truman Capote. Sehr einfach und flüssig zu lesen und sehr faszinierend. Es geht um 2 Raubmörder, die eine vierköpfige Familie überfallen und ermorden, nach einiger Zeit aber gefasst, zum Tode verurteilt und durch den Galgen hingerichtet werden. Das Besondere daran ist, dass der Roman ein Tatsachenroman ist, also es ist die wahrheitsgetreue Nacherzählung eines tatsächlichen Falles. Und der Autor zeigt eben nicht nur die Opfer als Menschen, wie sie waren, ihre Geschichte, ihr Wesen, sondern in gleicher Weise auch die Mörder. Er ergreift dabei nicht Partei oder bevorzugt eine der beiden "Seiten", er schildert einfach ausführlich den Mord, die Opfer, die Täter und die Auswirkungen dieser Tat und das alles möglichst objektiv. Das Besondere ist eben, dass die Mörder auch als Menschen beleuchtet werden mit allen Facetten ihrer Persönlichkeit und nicht bloß als eindimensionale Mörder, aber eben auch als Mörder und nicht als bloße Opfer der Gesellschaft. Was besodners heraussticht, ist, dass die Angehörigen und Freunde der Opfer den Tätern nicht den Tod wünschen und sogar Mitleid mit ihnen haben. Nicht weil ihnen die Täter als Opfer präsentiert werden oder dergleichen, sondern schlicht und einfach, weil sie, als sie die Angeklagten bei der Gerichtsverhandlung zu Gesicht bekommen, erkennen, dass es eben trotzdem noch Menschen sind; zwar Menschen, die eine ungeheuerliche Tat begangen haben, die ihnen nie verziehen werden kann, aber nicht desto weniger immer noch menschliche Wesen.
Und genau das ist mein Punkt, wenn ich sage, dass es sehr bequem ist, jemanden zum Tode zu verurteilen, dem man nie begegnet ist. Für dich (und wohl für jeden hier) ist Saddam Hussein ein Name mit einem dazugehörigen Foto und ein Diktator. Wir blenden gerne aus, dass er auch ein Mensch ist, weil ihr uns selbst nicht zu sehr in die Nähe eines unethischen Menschenschlächters stellen wollen. Und genau deshalb siehst du Saddam Hussein nicht als Mensch an. Zwar magst du natürlich zugestehen, dass er biologisch gesehen ein Mensch ist, aber das macht ihn ja noch lange nicht zum menschlichen Wesen. Kurz: Hussein ist das, was wir wohl als "Unmensch" bezeichnen würden. Damit entmenschlichen wir ihn und sprechen ihm das Menschsein ab, wodurch wir dasselbe tun, was er getan hat und was ihn so verachtenswert macht. Die Beweggründe sind zwar andere, aber ebenso niedere. Er hat es für den persönlichen Vorteil getan, du forderst es aus Rache oder einfach, um dich besser zu fühlen. Wenn Hussein nämlich ein absoluter Unmensch ist, der es verdient zu sterben und wir uns nur weit genug von ihm distanzieren, werten wir dadurch indirekt uns selbst auf, weil wir ja so toll sind und nichts mit ihm zu tun haben.
Zusammenfassend: Jeder Tod ist eine unbeschreibliche Tragödie, weil mit jedem Mensch ein unendlich großer Schatz stirbt, der unwiderbringlich verloren ist. Deshalb ist Töten unethisch und barbarisch. Wer andere Menschen entmenschlicht bzw. ihm sein Menschsein abspricht, tut praktisch schon den ersten Schritt hin zum Töten.
Trotzdem bleibe ich dabei, dass Saddam Husseins Tod wohl leider notwendig ist. Eine Tragödie ist er wie der Tod jedes anderen Menschen trotzdem, aber leider eine notwendige.
Machiavelli schrieb einmal: Gelobt seien jene, die ihr Seelenheil für ihr Land opfern.
Ich hoffe, ich habe dir, kilinator, die Thematik bzw. die Problematik etwas näher bringen können. Wenn nicht, dann fuck it, ich hab's zumindest versucht.