Du hast während des (Wirtschafts?)Studiums deine Meinung zum Mindestlohn zum schlechten hin geändert?
Da sieht man wieder, wie die zukünftige "Elite" schon in der Schule (Studium) indoktriniert wird.
Die Vorstellung, hier würde eine „zukünftige Elite“ während des Studiums „indoktriniert“, grenzt schon ziemlich an Paranoia und ist weltfremd. Wie genau soll das denn funktionieren? Wie konkret stellst du dir dies vor? Das würde mich mal interessieren. Treffen sich bestimmte VWL-Professoren einmal im Jahr zum fröhlichen, geheimen Happening, und überlegen sich, wie sie ihren Studenten, entgegen ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis, eine bestimmte „schlechte“ Linie vorgeben können, um bestehende, vermeintlich ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse zu verteidigen? Irgendwie erinnert mich das ein wenig an die Freaks bzw. Antisemiten, die glauben, die Juden hätten das World Trade Center gesprengt. Mein Interesse an dem Thema ist übrigens eher persönlicher Natur, da ich kein VWL, sondern BWL studiere.
Und das Folgende geht auch an moby: Es hilft überhaupt nichts, ein bestimmtes Thema zu emotionalisieren, wenn man es wissenschaftlich fundiert erörtern möchte. Niemand will, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht leben können. Da sind sich doch alle einig. Wenn man an solchen Zuständen aber etwas ändern möchte, dann darf man nicht die Symptome bekämpfen, sondern man muss sich die Frage stellen, was die Ursachen dafür sind. Und der Preis für den Faktor Arbeit ergibt sich nun mal am Faktormarkt durch Angebot und Nachfrage bzw. aufgrund der Grenzwertproduktivität: Ein Arbeitnehmer darf nicht mehr kosten, als er „nutzt“.
Wir leben nun mal in einer globalisierten Welt, in der viele Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden können. Wir erleben nun mal, dass seit Beginn der Industrialisierung ein rasanter technischer Fortschritt zu verzeichnen ist, der Arbeitsplätze im geringqualifizierten Bereich obsolet werden lässt: Menschliche Arbeitskraft wird durch Maschinen (Kapital) ersetzt. Aus meiner Sicht sind das alles sehr positive Entwicklungen, die enorme Chancen offenbaren, wenn man denn die richtigen Gestaltungsansätze findet. Man schaue sich nur an, unter was für Arbeitsbedingungen früher (oder heute auch noch in anderen Ländern) geschuftet werden musste. Ferner ist die Wirtschaft zunehmend auf Arbeitskräfte angewiesen, die hoch qualifiziert sind. Wir brauchen keine breite Arbeiterklasse mehr, sondern wir müssen zu einer Akademikergesellschaft werden. Das setzt zwangsläufig mehr Bildungsgerechtigkeit voraus: Es ist nicht hinnehmbar – nun auch aus ökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr – dass der Bildungserfolg so dermaßen eng verknüpft ist mit der sozialen Herkunft. Daran wird sich etwas ändern müssen, denn wir brauchen dringend mehr Fachkräfte. Der demografische Wandel wird dieses Problem noch zunehmend befeuern, derzeit erleben wir vor allem aufgrund unseres enormen Wirtschaftaufschwungs die ersten Vorboten.
Ein flächendeckender Mindestlohn, unabhängig von der Branche, unabhängig von der Wirtschaftskraft einer einzelnen Region, wird zwangsläufig negative Spuren hinterlassen. Man kann sich überlegen – das habe ich in der Vergangenheit ja auch schon immer wieder geschrieben – ob partielle Mindestlöhne (wie es sie ja auch schon zahlreich gibt), sinnvoll erscheinen. Laut Tarifvertragsgesetz können Tarifverträge ja für allgemeinverbindlich erklärt werden (§5 TVG). Es kann ja durchaus sein, dass ein Mindestlohn die Motivation von Arbeitskräften steigert, wodurch sie produktiver werden und einen höheren Lohn erhalten können oder dass es auf der Nachfrageseite Markteilnehmer gibt, die über Marktmacht verfügen und diese ausspielen. Alles Argumente, die von seriösen Mindestlohnbefürwortern immer wieder angeführt werden: Aber summa summarum stehen dahinter ziemlich viele Fragezeichen und Bedingungen, die eben nicht in jedem Fall erfüllt sein werden, wenn ein flächendeckender Mindestlohn, der auch tatsächlich am Markt wirksam wird, eingeführt werden würde. Von der Diskussion und der Entscheidungsgewalt über eine bestimmte Höhe mal ganz zu schweigen.
Worauf man sich konzentrieren muss, ist, wie oben ausgeführt, die Ursachenbekämpfung, d.h. Wirtschaftswachstum durch Setzen von klugen Rahmenbedingungen stärken und vor allen Dingen die Qualifikation von heutigen und zukünftigen Arbeitnehmern vorantreiben. Das wird natürlich nicht allen Arbeitnehmern helfen und dieser Ansatz hat auch einen eher langfristigen Horizont. Aber es gibt deutlich bessere „Schmerztabletten“ als einen Mindestlohn, die im Gegensatz zu diesem eben nicht das Risiko von Arbeitslosigkeit erhöhen, sondern sogar neue Arbeitsplätze schaffen. Genannt sei in diesem Zusammenhang der Kombilohn. Und ich subventioniere lieber einen Arbeitsplatz, als Arbeitslosigkeit. Und dass dieses Modell sehr erfolgreich ist, hat die Agenda 2010 ja gezeigt.
Was das 2,60 EUR Beispiel von moby betrifft: Ein solcher Lohn ist in Deutschland sittenwidrig und stellt nach §138 BGB den Tatbestand des Lohnwuchers dar. Jedenfalls ist mir keine Branche bekannt, in welcher 3,90 EUR branchentypisch wären -
„Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht.“ Diese Form der Emotionalisierung einer Diskussion tut dieser nicht gut. Es ist nicht der Regelfall in Deutschland, dass derartige Löhne gezahlt werden. Im Gegenteil: Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist phänomenal positiv. Das Bild, das du hier versuchst zu zeichnen, entspricht nicht dem tatsächlichen Befund. Genauso wie es übrigens auch falsch ist, aber immer wieder von vielen linken Politikern behauptet wird, der angewachsene Niedriglohnsektor hätte „reguläre“ Arbeitsplätze verdrängt. Das lässt sich empirisch ebenfalls nicht belegen. Und was andere Länder betrifft: Schau dich doch mal um, wie es dort momentan aussieht

Außerdem sind die Zusammenhänge viel zu komplex, um einfach sagen zu können „die haben das doch auch“. Da muss man sehr viel genauer hinschauen, beispielsweise, um mal einen Aspekt herauszugreifen, was für ein Sozialsystem diese Länder haben und inwieweit dies über Lohnnebenkosten finanziert wird.
Und zum Abschluss: Nehmen wir an, es würde nun ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt. Wie hoch müsste dieser liegen, damit die berühmte Familie mit zwei Kindern tatsächlich davon leben kann? So wie ich das sehe, müsste dieser dafür noch deutlich höhere angesetzt werden, als es sogar die Linkspartei gerade fordert. Na dann gute Nacht. Kleiner Nachtrag: Nicht zu vergessen, dass man die Leute damit in die Schwarzarbeit treiben würde.