Wie zu erwarten war ist das Thema Internetzensur noch nicht vom Tisch. Zum einen kommt es möglicherweise in Form des wie ein Staatsgeheimnis gehüteten ACTA-Handelsabkommens (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) und zum anderen in der Neuauflage der KiPo-Sperren-Diskussion wieder auf.
Letztere sollten ja erst für ein Jahr "evaluiert", also im Klartext auf die Zeit nach den Landtagswahlen in NRW verschoben werden. Deshalb überrascht es mich etwas, dass Frau von der Leyen das Thema jetzt schon aufgreift.
Von der Leyen fordert neue Wege in der Diskussion um Internet-Sperren
Am Montagabend hat sich die alte und neue Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen erstmals seit dem Regierungswechsel zum Fortgang der Debatte um Internet-Sperren geäußert. Vor Journalisten richtete sie bei einer Preview-Veranstaltung zur CeBIT 2010 in Hannover den Wunsch an die "Netzgemeinde", sich noch stärker an der Diskussion zum Thema zu beteiligen.
In der Rückschau habe sie die Auseinandersetzung an die Entdeckung neuer Kontinente erinnert, konstatierte die Ministerin: "Es sind Leute aus der alten reglementierten Welt aufgebrochen, und da herrschte oft das Recht des Stärkeren. Durch Kommunikation hat es dann eine vorsichtige Koppelung beider Welten gegeben." Die Vereinbarkeit der zwei Welten sei kein Ding der Unmöglichkeit.
Es gehe "um die hochinteressante Debatte, die diese symbolische Diskussion um Kinderpornographie-Sperren im Internet ausgelöst hat, nämlich: Was heisst 'Freiheit im Netz' und wo hört sie auf?" In der Debatte seien "zwei völlig unterschiedliche Formen politischer Legitimation und politischer Beteiligung sichtbar geworden: Die einen machen ein Gesetz, und die anderen machen eine Online-Petition." Für die Politik sei die Online-Petition eine völlig neue Art, öffentlichkeitswirksam für ein Anliegen einzutreten und sich politisch zu engagieren: "Dafür muss die Politik Antworten finden und denen, die die Forderungen in den Raum gestellt haben, Schnittstellen bieten."
Es sei in der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP vereinbart worden, zu diesem Zweck einen neue Dialogplattform zu schaffen. Man wolle dazu formal neue Wege gehen: "Selbstverständlich wird es die Face-to-Face-Diskussion geben, aber gleichzeitig werden wir die Möglichkeiten des Internet nutzen, Livestream-basiert, und diskutieren in den Foren, in den Blogs. Wir lernen daraus, was passiert ist, aber wir ziehen uns nicht in den Schmollwinkel zurück. Die Metaebene, die grundsätzliche philosophische Diskussion, müssen und wollen wir miteinander führen."
Von der Leyen machte auch klar, dass ihrer Ansicht nach das Zugangserschwerungsgesetz keineswegs endgültig vom Tisch ist. Sie verwies auf die einjährige Aussetzungssphase , die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde: "Wir werden danach die Forderung 'Löschen vor Sperren' auf den Prüfstand stellen und an der Umsetzbarkeit im realen Leben messen. Wir müssen erfolgreich sein. Wir werden in einem Jahr Bilanz ziehen und anhand von Zahlen bewerten, wieviele Bilder tatsächlich gefunden worden sind, und wieviele Bilder davon in welcher Zeit durch die Arbeit der obersten Polizeibehörden gelöscht worden sind. Zeit ist Geld, auch in diesem kriminellen Markt. Dann werden wir bewerten können, ob das reicht. Und wo dann nicht gelöscht werden kann, werde ich erneut die Frage stellen müssen: Was tun? Weggucken kann jetzt keiner mehr." (hob/c't)
Quelle:
Heise Online
Von welcher Debatte redet sie da? Die Beführworterseite hat doch bereits mehr als deutlich unter Beweis gestellt, dass sie an keiner sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema interessiert ist. Kritiker verbal in die Nähe von Kinderschändern zu rücken, scheinbar wahllos irgendwelche Länder (z. B. Indien und Kasachstan) zu Unrecht als Gegenden zu brandmarken, die Kinderpornografie nicht ächten, sowie das völlige Ignorieren von einer der bisher meist unterzeichneten Bundestagspetitionen, spiegeln für mich nicht unbedingt den Willen zur ernsthaften Diskussion dieses Themas wider.
So lange das Familienministerium (und Anhang) nicht von dem Standpunkt, entweder ihr seid für uns oder ihr seid Kinderpornofreunde, abrücken will, wird es keine Debatte zu diesem Thema geben können.
Der Vergleich zwischen der Auseinandersetzung mit diesem Thema und der Entdeckung Amerikas ist auf dem ersten Blick Unsinn, denn das Internet ist keine andere Welt, sondern lediglich ein Kommunikationsmedium.
Aber wenn man sich unbedingt auf dieses Bild einlassen will, dann spielt die "Netzgemeinde" wohl die Rolle der amerikanischen Ureinwohner. Landraub, Unterdrückung, Völkermord und Einpferchung der letzten Überlebenden in
Konzentatrationsla Reservate.. Ja, im Nachhinein haben die sich bestimmt auch gefragt wie sie es nur so lange ohne die Neuankömmlinge aushalten konnten.
Wie gesagt, ich glaube nicht dass es diesmal eine sachliche Debatte zu dem Thema geben wird. Es wird wohl wieder auf dieselben Demagogie-Auswüchse hinauslaufen wie beim ersten Mal.
Allerdings weiß ich auch nicht, was es zumindest bei dem eigentlichen Zankapfel, dem Sperren von Internetseiten mittels einer geheimen Liste, überhaupt zu diskutieren gibt. An der Sinnlosigkeit und Kontraproduktivität der Maßnahme ändert das rein gar nichts.
Die Seiten verschwinden durch die Sperren nicht und sind mit geringem Aufwand immer noch erreichbar. Außerdem werden die Täter vorgewarnt, wenn sie merken, dass ihre Seite auf der Sperrliste steht und haben genügend Zeit Beweise zu vernichten.
Dass es in Netz keinen kommerziellen Markt für solches Material gibt wurde ja schon diverse Male belegt. Wie auch? Das würde ja allein schon an den Zahlungsmöglichkeiten scheitern. Banküberweisung? Kreditkarte? Paypal? Da könnten Käufer und Verkäufer sich genauso gut gleich der Polizei stellen.
Die Wahrscheinlichkeit durch Zufall auf solche Seiten zu stoßen dürfte auch Nahe null sein.
Die Bemerkung
"Was tun? Weggucken kann jetzt keiner mehr."
kann nur als Witz gemeint sein, denn die Stoppschilder sind der Inbegriff des Wegguckens.
BTW:
Die Sperrinfrastruktur steht bereits, die Umsetzung der Sperren kann
binnen zwei Minuten geschehen.
BTW2:
Im UMTS-Netz "verfälschen" diverse Provider schon heute, wenn auch aus anderer Motivation heraus