Ich wollte noch was zu den Eingriffen in die Grundrechte loswerden, was hier offenbar nicht ausreichend bekannt zu sein scheint.
So ziemlich alle Grundrechte (z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung) können aufgrund von erlassenen Gesetzen beschränkt werden.
Das ist auch so im Grundgesetz vermerkt, z.B. in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 (Leben & Unversehrtheit), Art. 104 Abs. 1 Satz 1 (Freiheitsentziehungen) oder Art. 13 Abs. 2 (Unverletzlichkeit der Wohnung).
Ein Gesetz was gleich mehrere Grundrechte einschränkt ist z.B. die Strafprozessordnung (StPO).
Sie gestattet Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit (§ 81a für Blutentnahmen), in die Freiheit (§§ 112 ff) und erlaubt Durchsuchungen (§§ 102 ff).
In den einzelnen Befugnisnormen sind die Voraussetzungen für diese Eingriffe beschrieben und die dazugehörigen Formvorschriften (z.B. § 105 StPO Richtervorbehalt) vermerkt.
Um z.B. bei jemanden eine Wohnungsdurchsuchung nach § 102 StPO durchzuführen, muss derjenige nur Täter/Teilnehmer einer Straftat sein und es muss zu vermuten sein, das in seiner Wohnung Beweismittel zu dieser Straftat gefunden werden.
Die Anordnung zur Durchsuchung trifft ein Richter, bei Gefahr im Verzuge die Staatsanwaltschaft oder die Polizei.
In der Praxis sieht das so aus (ich bezieh's jetzt mal auf den 4 Gramm Cannabiskrümel), das ich nach Aufgriff des Tatverdächtigen den Dauerdienst der Justiz per Handy anrufe, einem Ermittlungsrichter den Sachverhalt schildere und anrege einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung zu erteilen.
Euer Ehren fragt dann ein paar Rahmendaten ab und will wissen, warum die Durchsuchung erforderlich ist.
Standardntwort 1: Weil aus empirisch nachvollziehbarer Kriminalstatistik nachweisbar ist, das Cannabiskäufer in sehr hoher Prozentzahl zuhause Vorräte horten.
Standardantwort 2: Der Tatverdächtige hat angegeben zuhause noch ein paar Gramm Cannabis liegen zu haben.
In beiden Fällen ist das Tatbestandsmerkmal "Vermutung" erfüllt und Euer Ehren ordnet die Durchsuchung an.
Die Bude wird durchsucht (entweder mit oder ohne Erfolg) und der Betroffene bekommt eine Durchschrift des Durchsuchungsprotokolls, wo die Gründe, der Name des Anordnenden sowie der durchführenden Beamten draufsteht und eine Auflistung der beschlagnahmten Gegenstände.
Selbiges Prozedere läuft bei anderen Eingriffen (z.B. Blutentnahme, Beschlagnahme)) analog ab.
Durch Einführung eines Justizdauerdienstes, wo man 24/7 einen Staatsanwalt und Richter erreichen kann, wurde dem Umstand Rechnung getragen, das Eingriffe zur Nachtzeit die letzten 60 Jahre immer unter dem Begriff "Gefahr im Verzug" durch die Polizei angeordnet werden mussten, da zur Nachtzeit kein Richter mehr im Dienst war.
Damit war der eigentliche Richtervorbehalt dieser Maßnahme defakto ausgehebelt und der Ausnahmefall, nämlich dass die Polizei anordet, die Regel geworden.
Heute ist das mit dem Dauerdienst erheblich komfortabler, da man jetzt eigentlich fast nie mehr selber anordnen muss.
Und da der Anordnende einer Maßnahme (nicht der Durchführende!) bei einer späteren rechtlichen Überprüfung den Kopf hinhalten muss, entbindet es den Polizeibeamten auch von der Verantwortung für die Folgen.
Alles in allem eine gute Sache... der Betroffene kann (bis auf wenige Ausnahmen) sicher sein das ein Richter den Eingriff angeordnet hat und mir bleibt die Beantwortung von Beschwerden grundrechtssensibler Advokaten erspart.
Noch was zum Beweisverwertungsverbot bei Verletzung von Formvorschriften.
Nur weil ich z.B. eine Durchsuchung selber angeordnet habe weil ich der irrigen Meinung war das Gefahr im Verzug vorliegt, erfolgt nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot.
Dazu empehle ich mal die Lesung dieses Artikels:
Diebstahl: Durchsuchung eines Pkws ohne Durchsuchungsbeschluss = Beweisverwertungsverbot?,
wo sich das Berliner Kammergericht mit diesem Thema befasst hat.
Lange Rede, gar kein Sinn:
Ich wollte nur mal aufführen, dass es eine erhebliche Anzahl legaler Eingriffsmöglichkeiten in vermeintlich unantastbare Grundrechte gibt.
Nicht alles ist staatliche Willkür oder Raubrittertum sondern gründet auf eine Anwendung erlassener Gesetze.
Ausnahmen gibt's natürlich überall aber dafür steht ja jederman der Rechtsweg offen.