Filmvorstellung: "Blue Velvet" (1986)

Psycho Joker

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Ich werde mich nach langer Zeit wieder mal an einer Filmvorstellung versuchen.
Auserwählt dazu haben ich David Lynchs "Blue Velvet".

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Gleich vorneweg: Blue Velvet ist ein typischer David Lynch Film: Voller Skurrilitäten, absurd, komisch, seltsam und schlicht faszinierend. Anders als in späteren Filmen wie "Lost Highway" oder "Mulholland Drive" verläuft die Geschichte hier allerdings noch in rationalen Bahnen. Der Film ist daher meiner Meinung nach sehr gut als Einstieg in die Welt von David Lynch geeignet. Kurz zur Handlung:
Im idyllischen Kleinstädten Lumberton lebt die Familie von Jeffrey (Kyle McLachlan in seiner 2. großen Rolle nach "Dune" und auch hier ist er wieder fantastisch), der grad studiert. Eines Tages trifft seinen Vater der Schlag und er muss ins Krankenhaus. Jeffrey reist an und besucht den Vater dort. Auf dem Heimweg findet er in einer Wiese ein menschliches Ohr. Er bringt es sogleich zur Polizei. Der untersuchende Beamte wohnt in seiner Nachbarschaft und spricht mit ihm bei sich zu Hause. Dort lernt Jeffrey die Tochter des Polizisten, Sandy (Laura Dern, bekannt aus Jurassic Park), kennen. Jeffrey beschließt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen und Sandy erklärt sich bereit ihm zu helfen. Sandy hat in einem Gespräch ihres Vater die Adresse einer Frau aufgeschnappt, die in den Fall verwickelt sein soll. Jeffrey entwickelt einen Plan, um zu einem späteren Zeitpunkt in die Wohnung der Frau einsteigen zu können, um sie zu durchsuchen. Doch die Frau (Isabella Rosselini) findet ihn und bedroht ihn mit einem Messer. Das Ganze wird unterbrochen von einem mysteriösen Mann namens Frank (Dennis Hopper, genial-wahnsinnig wie immer), der auftaucht um die Frau, Dorothy, zu sehen. Jeffrey beobachtet in einem Wandschrank versteckt ein bizarres Schauspiel, als Frank Dorothy in einem skurrilen "Ritual" vergewaltigt und dabei scheinbar eine Art Ödipus-Komplex auslebt. Er erfährt außerdem, dass Frank Dorothys Mann und Kind gefangenhält und sie damit erpresst. Er beschließt, der Frau zu helfen, nicht zuletzt, weil er sich zu ihr hingezogen fühlt. So gerät Jeffrey immer tiefer in einen dunklen Sumpf.

Der Film ist sehr genial und zwar besonders (wie für Lynch üblich) in seiner Bildsprache. Alle klassischen Lynch-Elemente kommen hier schon vor: Der Rot-Blau-Kontrast, rote Vorhänge, blaue Blitze, ein Highway bei Nacht, Dunkelheit, Rotkehlchen, eine mysteriöse Nachtclub-Sängerin, usw.
Der ganze Film ist eine dramatische, in ihrer Vorgehensweise aber sehr subtile, Demaskierung des Kleinstadt-Idylls. Allein schon in den ersten Minuten nach dem Vorspann macht Lynch das in einer sehr raffinierten Bildsymbolik. Es beginnt mit roten Rosen (als Zeichen für Liebe), vor einem blühend weißen Gartenzaun, vor einem strahlend blauen Himmel; der Inbegriff von Idylle; es folgt ein Feuerwehrfahrzeug, das durch ein beinahe klischeehaftes Kleinstadtviertel fährt, ein Mann auf dem Fahrzeug winkt freundlich in die Kamera; dann gelbe Tulpen (als Zeichen von Freundschaft), wieder vor weißem Zaun und blauem Himmel; Schulkinder, die eine Straße überqueren; ein Mann (der Vater von Jeffrey) gießt seinen Garten; eine Frau (die Mutter von Jeffrey) sieht isch im Fernsehen einen alten Schwarz-Weiß-Krimi an, im Bild ein Revolver in der Hand eines Mannes, der langsam durch eine Wohnung schleicht; wieder der Mann im Garten, der Wasserstrahl seines Gartenschlauchs verliert an Druck, weil der Schlauch sich um einen Strauch gewickelt hat und das Wasser abwürgt, der Druck wird größer und größer und plötzlich sinkt der Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden; der Mann liegt am Boden, den Schlauch noch in der Hand und nach oben gerichtet, der Hund versucht aus dem Wasserstrahl zu trinken und knurrt und bellt dabei, die Szenarie verlangsamt sich, es klingt so, als würde der Hund den Wasserstrahl geradezu erlegen und zerfleischen; das Bild fährt langsam zum Erdboden hinab, wo unter dem Grasteppich in der Dunkelheit unzählige schwarze Käfer herumkrabbeln und -kriechen und dabei verstörend laute Geräusche produzieren.
Auch die Dunkelheit ist ein sehr starkes Motiv im Film. Immer wenn es dunkel ist, ist es ernst. Das Bild einer flackernden Kerzenflamme in der Dunkelheit taucht auch mehrmals auf. Als Frank vorbeikommt um Dorothy zu vergewaltigen, ist das erste, was er in ihrer Wohnung macht, das Licht auszuschalten und eine Kerze anzuzünden. Frank ist außerdem ein typischer Lynch-Bösewicht (wie der Baron Harkonnen in "Dune" oder Bob in "Twin Peaks"), er ist durch und durch böse und kostet das voll und geradezu sexuell ekstatisch aus (Frank ist die einzige Figur im Film die dauernd "Fück" sagt, mit Ausnahme eines anderen Mannes, den Frank auffordert, "Fück" zu sagen).
Der Film ist voll von Kontrasten. Da sind z.B. die Kontraste hell-dunkel, Idylle-Unterwelt, rot-blau und sogar Jeffrey trägt dauernd nur schwarze und weiße Klamotten.

Alles in allem ein genialer Film, ein Kunstwerk. Sicherlich nicht jedermann's Geschmack, aber wer Filme liebt, wird diesen Film lieben. Er ist kontrovers, künstlerisch, faszinierend, mysteriös, skurril und lässt einen so schnell nicht wieder los.



Imdb: http://imdb.com/title/tt0090756/
 
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Absolutes Dito. Wer auf optisch ausgeklügelte, spannende Filme steht, die man so schnell nicht vergisst, der ist mit David Lynch gut beraten. Ausnahmslos.
 
Hmmmmmmm naja die Story selbst fand ich jetzt nicht so überwältigend, auf die Bildsprache hab ich weniger geachtet um ehrlich zu sein :D

Dorothy fand ich auch etwas komisch, seltsame Frau lol
 
Ja, die Story ist an sich relativ unspektakulär. Bei Lynch ist die eben das Drumherum gleich wichtig wie die Handlung. Ist aber auch gewöhnungsbedürftig und nicht jedermanns Sache.
Dorothy war aber btw nicht die einzige seltsame Figur in dem Film. :D
 
Es kann ja wohl auch keinen Lynch-Film mit nur einer seltsamen Person geben :D
 
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