Im Fußball stehen womöglich einschneidende Veränderungen an. Liebgewonnene Diskussionen über Abseitsstellungen oder umstrittene Tore könnten bald passé sein. Forscher des Fraunhofer-Instituts Erlangen haben ein neuartiges Ballortungssystem entwickelt. DFB und Fifa zeigen sich bereits interessiert. Die Mitarbeiter der benachbarten Unternehmen hatten lange Zeit verwundert nach oben geblickt, als sie die hüftsteifen und neonlichtbleichen Chipexperten des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen kicken sahen. Allerdings traten die international gefragten Ingenieure nicht zum Spaß gegen den Ball: Sie haben es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, die schönste Nebensache der Welt zu digitalisieren.
Drahtloses Ballortungssystem
Mit der Entwicklung eines neuartigen, drahtlosen Ballortungssystems ist es ihnen gelungen, den Pass in eine Zukunft des Fußballs zu schlagen, in der umstrittene Schiedsrichterentscheidungen der Vergangenheit angehören und fundierte Spielanalysen Trainern, Medien und Zuschauern in Echtzeit zur Verfügung stehen.
Stammtisch-Diskussionen wären beendet
Die Vorlage bekamen die Fraunhofer-Forscher von der Cairos Technologies AG aus Karlsbad. Deren Vorstandsvorsitzender Hartmut Braun kam mit seinem Mitaktionär Roland Stucky nach einem Altherrenfußballspiel des ATSV Mutschelbach auf die revolutionäre Idee. Denn wie jedes Wochenende Hunderttausende anderer Fußballexperten auf dem heimischen Sofa oder am Stammtisch diskutierten sie stundenlang darüber: War der Ball im Tor, der Spieler im Abseits?
Ball und Spieler mit Chip ausgestattet
Man dachte daran, Lichtschranken oder Radar einzusetzen, ehe Cairos um die Jahrtausendwende an das Fraunhofer-Institut mit der Bitte herantrat, Ball und Spieler mit Chips zu verwanzen, um deren genaue Position im dreidimensionalen Raum eines Fußballfeldes messen zu können.
Statistik aus dem Computer
"Die Chips erheben bis zu 2000-mal pro Sekunde die aktuellen Positionen der 22 Spieler und des Balles auf den Zentimeter genau", sagt René Dünkler vom Fraunhofer-Institut. Die Daten werden dann von bis zu zehn Antennen, die rund um den Platz angebracht sind, erfasst und an den Zentralcomputer weitergeleitet, der dort sofort die statistischen Informationen aufbereitet.
Auch Fitness der Spieler erfassbar
So könnten die Zuschauer in Sekundenbruchteilen erfahren, dass - dies ein fiktiver Fall - der Stuttgarter Stürmer Kevin Kuranyi den Ball in der 67. Minute von 21 auf 137 Stundenkilometer beschleunigte, ehe der Ball im Abstand von 3,9 Zentimetern am rechten Pfosten vorbei flog. Kuranyis Trainer Matthias Sammer könnte sich anhand der gewonnenen Zweikämpfe, der Lauffreudigkeit oder der Torschüsse überlegen, ob er den Angreifer auswechselt - zumal ein weiterer Chip im Trikot demnächst auch Informationen über die Fitness der Spieler liefern könnte.
Gefahr durch Boulevardmedien
"Interessant", sagt Sammer über das innovative Modell. Der VfB-Coach kann sich das System zur Unterstützung der Leistungsdiagnostik vorstellen, wobei er kritisch anmerkt, dass die Boulevardmedien die Daten ausschlachten und regelmäßig den faulsten Spieler küren könnten.
Erster Test Ende Februar
Dennoch hat der DFB Interesse signalisiert. "Wir arbeiten schon jetzt ständig mit Videoanalysen", sagt DFB-Chefausbilder Erich Rutemöller, der in der Vielzahl neuer Daten eine sinnvolle Ergänzung zum Ausdauertraining und der Taktikschulung der Spieler sieht. Fifa-Boss Joseph Blatter zeigt sich neuer Technik ebenfalls aufgeschlossen, er erwägt Tests in offiziellen Spielen, eventuell schon beim englischen Ligapokal-Finale am 27. Februar.
Gute Schiedsrichter-Unterstützung
Zudem könnte die Rundleder-Innovation eine Orientierungshilfe für Schiedsrichter in umstrittenen Tor- und Abseitssituationen sein. Die Männer in Schwarz sind einem immensen Druck ausgesetzt und müssen in wenigen Augenblicken mit einem Pfiff über Siege, Titel und Millionen entscheiden. DFB-Schiedsrichterlehrwart Eugen Striegel so: "Wenn das System hundertprozentig funktioniert, stehen wir dem als Schiedsrichter positiv gegenüber."
Unterstützung für Spiel-Analyse
Hauptabnehmer für die Daten sollen laut Cairos-Marketingchef Oliver Braun vor allem die Medien sein, die ihren Zuschauern, Hörern und Lesern bereits die Welt des Fußballs mit Zahlenspielereien näher bringen. "Nur mit Statistiken allein kann man Fußball aber nicht erklären. Ein Stürmer, der wenig läuft, aber zwei Tore schießt, hat trotzdem seine Rolle erfüllt", sagt Premiere-Chef Georg Kofler, "ich warne davor, solche Zahlen überzubewerten. Aber wenn sich dadurch die Analyse des Spiels verbessert, wird Premiere das Chip-System natürlich nutzen."
Ablöse des bisherigen Scoutings
In anderer Form tut das der Pay-TV-Sender auch jetzt schon. Denn bei seiner Berichterstattung greift Premiere zum Großteil auf die Datenbank der Firma IMP zurück - die hat Cairos inzwischen aus der Konkursmasse des Kirch-Imperiums herausgekauft. Sollte das 3D-Ortungs-System in naher Zukunft in allen Stadien der ersten Bundesliga eingebaut sein, so der Plan des Unternehmens, dann wäre das eigentlich nur eine Weiterführung des bisherigen Scoutings, mit dem IMP bisher unter großem personellen Aufwand alle Pässe, Schüsse und Tore eines Spieltags gezählt hat.