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elementares liest man heute in der tagespresse vom main
Die Bedeutung des Knödels für die Völkerverständigung
Sprachgrenzen
Nicht um das ganze deutsche Schulwesen steht es hoffnungslos schlecht. Jedenfalls der Sprachenunterricht ließe sich verbessern. Man müßte nur in Betracht ziehen, was der Österreicher Alois Brandstetter in seiner 1976 erschienenen Erzählung „Zu Lasten der Briefträger“ dazu an Erkenntnissen mitteilt. Dem Briefträger Ürdinger im niederbayerischen Dorf Prach kommt Englisch leicht vor, aber mehr zum Sprechen als zum Lesen und Verstehen. „Englisch sprechen kann jeder, er braucht nur einen Knödel in den Mund zu nehmen. Wenn einer mit vollem Mund spricht, spricht er im wesentlichen Englisch. Dabei kann er an und für sich ruhig Deutsch sprechen, aber dort, wo durch den Knödel im Mund das Deutsche unverständlich wird, beginnt das Englische, das ist genau die Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem Englischen.“ Anders verhalte es sich, sagt Ürdinger, mit dem Lesen und Verstehen des Englischen. Dabei helfe der Knödel nicht, das müsse man gelernt haben.
Ürdinger, ein früher EU-Europäer, greift weiter aus. Für einen Italiener sei es leicht, Französisch zu sprechen. „Wenn ein Italiener unbedingt Französisch sprechen will, braucht er sich nur die Nase ein wenig zuzuhalten und seine italienische Muttersprache zu sprechen . . . Wenn sich ein Italiener die Nase zuhält, spricht er im wesentlichen Französisch. Wenn sich ein Deutscher die Nase zuhält, spricht er auch Französisch, aber nicht in dem Maße rein, wie der Italiener, was mit der romanischen Sprachverwandtschaft zusammenhängt.“ – Wiederum gibt Ürdinger zu bedenken, daß es sich etwas anders mit dem Verstehen verhalte. „Ich kann mich stundenlang mit zugehaltener Nase über den französischen Text beugen, er wird mir dadurch nicht verständlicher.“ „Aussprache und Bedeutung gehen auseinander, im Englischen und im Französischen. Im Deutschen fallen sie zusammen, und das ist das Schöne an dieser Sprache.“ Die Frau eines anderen Briefträgers im bayerischen Prach, eine Österreicherin aus Salzburg, hatte einen direkteren Zugang zu einer Fremdsprache. „Maria Blumauer kann das Englische noch aus der Zeit, als die Amerikaner in ihrer Heimat waren und zu ihr Mary sagten, und wie sie immer zu den Amerikanern ,Okay‘ sagte. Das ist mittlerweile einige Zeit her, und Mary Blumauer hat inzwischen wieder einiges vergessen.“
johann georg reissmüller
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.05.2004 Seite 35
Die Bedeutung des Knödels für die Völkerverständigung
Sprachgrenzen
Nicht um das ganze deutsche Schulwesen steht es hoffnungslos schlecht. Jedenfalls der Sprachenunterricht ließe sich verbessern. Man müßte nur in Betracht ziehen, was der Österreicher Alois Brandstetter in seiner 1976 erschienenen Erzählung „Zu Lasten der Briefträger“ dazu an Erkenntnissen mitteilt. Dem Briefträger Ürdinger im niederbayerischen Dorf Prach kommt Englisch leicht vor, aber mehr zum Sprechen als zum Lesen und Verstehen. „Englisch sprechen kann jeder, er braucht nur einen Knödel in den Mund zu nehmen. Wenn einer mit vollem Mund spricht, spricht er im wesentlichen Englisch. Dabei kann er an und für sich ruhig Deutsch sprechen, aber dort, wo durch den Knödel im Mund das Deutsche unverständlich wird, beginnt das Englische, das ist genau die Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem Englischen.“ Anders verhalte es sich, sagt Ürdinger, mit dem Lesen und Verstehen des Englischen. Dabei helfe der Knödel nicht, das müsse man gelernt haben.
Ürdinger, ein früher EU-Europäer, greift weiter aus. Für einen Italiener sei es leicht, Französisch zu sprechen. „Wenn ein Italiener unbedingt Französisch sprechen will, braucht er sich nur die Nase ein wenig zuzuhalten und seine italienische Muttersprache zu sprechen . . . Wenn sich ein Italiener die Nase zuhält, spricht er im wesentlichen Französisch. Wenn sich ein Deutscher die Nase zuhält, spricht er auch Französisch, aber nicht in dem Maße rein, wie der Italiener, was mit der romanischen Sprachverwandtschaft zusammenhängt.“ – Wiederum gibt Ürdinger zu bedenken, daß es sich etwas anders mit dem Verstehen verhalte. „Ich kann mich stundenlang mit zugehaltener Nase über den französischen Text beugen, er wird mir dadurch nicht verständlicher.“ „Aussprache und Bedeutung gehen auseinander, im Englischen und im Französischen. Im Deutschen fallen sie zusammen, und das ist das Schöne an dieser Sprache.“ Die Frau eines anderen Briefträgers im bayerischen Prach, eine Österreicherin aus Salzburg, hatte einen direkteren Zugang zu einer Fremdsprache. „Maria Blumauer kann das Englische noch aus der Zeit, als die Amerikaner in ihrer Heimat waren und zu ihr Mary sagten, und wie sie immer zu den Amerikanern ,Okay‘ sagte. Das ist mittlerweile einige Zeit her, und Mary Blumauer hat inzwischen wieder einiges vergessen.“
johann georg reissmüller
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.05.2004 Seite 35