[Filmvorstellung] Alphaville

Psycho Joker

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So, ich versuch mal die alte Kunst des UF-Multimediaforum-Filmvorstellungsthread-Erstellens wieder zu beleben. Dafür hab ich mir eine ganz besondere Perle von Film ausgesucht:

"Alphaville" von Jean-Luc Godard aus dem Jahre 1965.

Alphaville.jpg


Was ist Alphaville? Vor allem schwer zu beschreiben. Allein schon beim Genre tut man sich da schwer. Alphaville passt in viele Kategorien aber in keine so wirklich. Es ist vom rein optischen Standpunkt her ein klassischer Film noir, inhaltlich ist es vor allem Science-fiction, gleichzeitig persifliert er aber beide Genres und ist sehr experimentell in seinen Bildern.
Aber beginnen wir mal bei der Handlung:

Ein mysteriöser Mann namens Lemmy Caution (in klassischem Film-noir-Trenchcoat-Outfit) kommt in eine Stadt namens Alphaville. Er gibt sich als Ivan Johnston aus, einen Reporter von der Milchstraße, der eine Reportage über Alphaville für die "Figaro Pravda" machen will. Milchstraße? Ja, Milchstraße. Im Film ist nämlich immer die Rede von Milchstraße, Planeten usw. Wie dem auch sei, Lemmy Caution scheint sehr daran interessiert zu sein, wie Alphaville funktioniert, es ist nämlich eine besondere Stadt. Alphaville wird von einem gigantomegahyperintelligenten Supercomputer namens Alpha 60 kontrolliert, besteuert und beherrscht. Dessen oberstes Ziel ist eine perfekt funktionierende Gesellschaft auf der Grundlage von Logik. Caution trifft einen Kontaktmann in Alphaville der ihm einige rätselhafte Hinweise gibt, dann aber stirbt. Durch eine enigmatische Schönheit namens Natascha von Braun bietet sich Caution die Gelegenheit ihren Vater, Professor von Braun, den Konstrukteur von Alpha 60 und Initiator von Alphaville, kennezulernen. Er trifft ihn schließlich bei einer sehr kuriosen Abart der öffentlichen Exekution, doch als er ihn ansprechen will, wird er von dessen Bodyguards verdroschen. Er wird Alpha 60 zum Verhör vorgesetzt und kann dann vorerst wieder gehen. Doch er erkennt langsam das Ausmaß der unmenschlichen Abgründe in Alphaville und will etwas dagegen unternehmen und sei es nur, um Natascha, in die er sich verliebt hat, davon befreien zu können.

Das war ein sehr kurzer Überblick über die Handlung. Ist etwas schwer zu beschreiben, weil natürlich sehr viel mehr passiert, aber das ist oft ziemlich unvermittelbar. Muss man schon selbst sehen. Es gibt Szenen voller Surrealismus, Symbolismus, Poetik, Komik, Spannung und auch sehr viel Philosophisches.
Wie schon gesagt ist "Alphaville" vor allem ein Genre-Mix aus Film noir und Science-fiction. Von letzterem ist das Grundprinzip der Handlung entlehnt, nämlich das Verhältnis bzw. der Konflikt Mensch-Technik (seit je her DAS klassische Science-fiction-Thema). Von ersterem entlehnte Godard im Prinzip die Szenarie. Der Film wurde praktisch nur an unveränderten Schauplätzen in Paris gedreht. Also kein typisch science-fiction-mäßiger Optik-Schnickschnack; 60er Jahre Gebäude (sehr hässliche noch dazu, was mit Absicht so gewählt ist), 60er Jahre Autos, 60er Jahre Mode. Die Action ist teilweise auch sehr befremdlich, nciht im geringsten vergleichbar mit typisch skeptakulärer Actionfilm-Action. Hier wirkt die Gewalt immer sehr befremdlich und irgendwie seltsam. So gibt es z.B. eine Szene, in der mehrere hohe Persönlichkeiten einer öffentlichen Exekution beiwohnen. Diese findet in einem Hallenbad statt. Der Verurteilte geht auf ein Sprungbrett, sagt seine letzten Worte, wird von einem Soldaten mit Maschinenpistole ins Schwimmbecken geschossen, worauf Mädchen im Badeanzug hinterherspringen und den Verurteilen im Becken erstechen. Dann führen sie eine kleine Wasser-Choreographie vor und die Zuschauer klatschen. Ein anderes Mal stielt Caution ein Auto, das von einem Schläger bewacht wird. Diesen verprügelt er zuerst, bevor er ihn mit dem Wagen überrollt. Der ganze Kampf ist allerdings nur in Momentaufnahmen (in denen die Schauspieler in Kampfposen für 1 oder 2 Sekunden unbeweglich verharren) dargestellt.
Hier zeigt sich die Tendenz von "Alphaville" die behandelten Genres zu persiflieren. So ist Lemmy Caution der typische Film noir Protagonist. Harter Kerl, abgebrüht, schlecht gelaunt, cool usw. allerdings so überzogen, dass er direkt schon eine Satire auf den typischen Film noir Protagonisten ist (das hat nichts mit schauspielerischer Inkompetenz zu tun, sondern ist beabsichtigt). Ebenso verfährt man mit den Science-fiction-Elementen, oft ist die Rede von anderen Planeten, die so seltsam vertraute Namen tragen wie Nueva York (von wo Lemmy stammt) oder Tokiorama. Außerdem wird der Begriff "Lichtjahr" als Zeiteinheit verwendet und von Raumschiffen spricht man wie von Autos (Lemmy hat einen Ford Galaxy). Klingt jetzt alles sehr merkwürdig, ist es auch, aber auf eine interessante und unterhaltsame Art und Weise merkwürdig. Das Ganze wird abgerundet durch die vielen philosophischen Dialoge zwischen Lemmy und Natascha oder Alpha 60 und Monologe von Alpha 60, die immer wieder eingespielt werden.

Zusammenfassend: Ein seltsamer Film, der aber irgendwie alle Qualitäten hat, die ein Film haben muss: Gute Story, (trockener bis schwarzer) Humor, klasse Schauspieler, kreative Ideen und genau den richtigen Schuss Verrücktheit und Selbstironie. Der Film ist dadurch auch etwas anspruchsvoller als 0815-Popcorn-Kino, aber Anspruch ist in letzter Zeit eh rar geworden im Kino, von daher tut so ein Klassiker schon mal ganz gut.

"Alphaville" ist meine Empfehlung an alle, die mal wieder einen etwas anderen Film sehen wollen.



P.S.: Ich poste demnächst auch noch ein paar Bilder, damit die Atmosphäre ein wenig rüberkommt.
 
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Cool. Hätte nicht gedacht, dass den hier wer kennt. :o

GJ Filmgeschmack, huxl. :D
 
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