Ich habe eigentlich schon lange gewartet, dass diese Diskussion hier aufkommt, bin aber wahrlich enttäuscht darüber, auf welchem Niveau sich die Diskussion befindet. Mit welchen Unwahrheiten hier teilweise um sich geworfen wird, ist echt krass.
Um
das Projekt an sich aus meiner Sicht mal zusammenzufassen:
Irgendwann zwischen 1980 und 1990 kam man auf die Idee, die Bahnhöfe mehrere Städte tieferzulegen. In allen Städten außer in Stuttgart wurde diese Idee aber irgendwann verworfen. Die deutsche Bahn selbst hat das Projekt Stuttgart 21 irgendwann aufgrund seiner unwirtschaftlichkeit ebenfalls verworfen. Allerdings wurde die Idee dann durch die Politik wieder zum Leben erweckt und zwar dadurch, indem sie sich bereit erklärte, einen Teil der Kosten zu tragen.
Die Kostenaufteilung wurde hier ja schon dargestellt, die Bahn bezahlt in etwa 1,4 Mrd €. Was man dazu noch sagen sollte ist, dass die Erlöse auf den Grundstücksverkäufen soweit ich weiß ausschließlich oder zum Großteil an die Bahn gehen. Hier wird ebenfalls von einem Erlös von ~1,4Mrd € gesprochen. Heißt soviel wie, die Bahn investiert 1,4 Mrd, bekommt diese in Form von Verkaufserlösen (die 2020 vllt. noch deutlich höher sind) wieder zurück UND bekommt dafür einen neuen Tiefbahnhof. Dass da die Bahn an einer Umsetzung des Projekts sehr interessiert ist und dass die Vorschläge für einen renovierten Kopfbahnhof (bei dem es keine Verkaufserlöse für die Bahn geben würde) bei der Bahn nicht durchkommen ist in meinen Augen nicht verwunderlich. Wenn jetzt einer aber sagt "ja, aber die Kostensteigerung wirken sich ja auch auf die Bahn aus.", der irrt sich. Die Mehrkosten des Projekts werden ausschließlich vom Bund getragen.
Sicherlich sind die Kosten ein Punkt, bei dem man sagen kann, dass sie bei einem Haushalt von mehreren Mrd nicht ins Gewicht Fallen und BaWü auch mal eine Investition verdient hat, aber die Kosten sind meiner Meinung nach nicht der einzige Kritikpunkt an S21. Beim Projekt S21 gibt es zum Teil erheblich Planungsmängel, manche Einschätzungen geschehen mit erheblichem Optimismus. So gibt es zum Beispiel mehrere Problemstellen, bei denen eine minimale Verspätung zu einem erheblichen Ausmaß führt. Es gibt Gleise in der Nähe des Flughafens, die von S-Bahn und ICE gemeinsam genutzt werden. Verspätet sich nun der ICE, hängt dieser hinter der S-Bahn fest. Das Zeitersparnisargument ist dahin. Die Haltezeit am Bahnhof beträgt laut den Planungen teilweise sogar nur eine Minute (Nahverkehr), 2,2 Minuten für Fernzüge. Wer weiß, wie pünktlich die Züge im Normalfall sind kann sich vorstellen, wie unkomfortabel das Umsteigen in Stuttgart dann werden wird. Sicherlich kann das ganze bei exakten Fahrzeiten funktionieren, meiner Ansicht nach ist diese Möglichkeit aber von der Realität weit entfernt. Wer nun erwartet, dass Zuge aufeinander warten, der irrt sich. Dadurch, dass nur 8 Stehgleise existieren werden, wird durch nachkommende Züge ein Weiterfahren der stehen Züge nach kürzester Zeit erforderlich sein. Wer die Planungen der Gleise schonmal gesehen hat wird merken, dass die 8 Stehgleise nicht mal von allen Zufahrtsgleisen befahrbar sind. Der Zugbetrieb im Stuttgarter Bahnhof wird also extrem komplex werden. Inwiefern diese Komplexität beherrschbar ist, bleibt offen. Mein Zweifel daran besteht.
Es gibt noch weitere Gründe wie:
Das Gleisvorfeld ist für die Stuttgarter Innenstadt als Klimaaspekt enorm wichtig, da es in der Umgebung das einzige unbebaute Grundstück ist und dem Klima der Stadt eine Luftzirkulation ermöglicht. Stuttgart liegt in einem Kessel und erwärmt sich im Sommer extrem. Inwiefern sich dieser Effekt beim Wegfall des Gleisvorfeldes verschlimmert, wird sich (sofern das Projekt durchkommt) zeigen, aber auch hier melde ich Zweifel an, dass sich das Klima verbessern wird.
Beim Nahverkehr wird immer von einer Verbesserung geredet. Ich habe schon mit regelmäßigen Pendlern geredet, bei denen Verbindungen die Sie jetzt haben wegfallen werden.
Wie oben schon beschrieben werden die Umstiegszeiten bzw. die Zeit die man hat um umzusteigen deutlich kürzer.
Ein Umsteigen auf einer Ebene wird nicht mehr möglich sein. Stuttgart sei zum Großteil ein Ziel-/Startbahnhof. Die geringere Haltezeit die durch einen Durchgangsbahnhof ermöglich werden würde, ist also für viele Reisende irrelevant.
Die Reisezeit zwischen (ich glaub es war) Karlsruhe und Ulm soll dank S21 nurnoch 1 1/2 Stunden betragen. Früher betrug die Reisezeit bereits 1:38 Stunden, allerdings sind viele der Gleisabschnitte schlecht gewartet und es muss dort langsamer gefahren werden, wieso die Reisezeit mittlerweile 2:05 beträgt. Das Geld wäre hier deutlich sinnvoller investiert.
Der Güterverkehr wird immer mehr genutzt und steht nahezu vor 100%iger Auslastung. Durch eine Investition von 1,5 Mrd könnte die verfügbare Kapazität des Güterverkehrs um 40% erhöht und eine weitere Verlagerung der Güter auf die Schiene ermöglicht werden. Diesbezüglich sind soweit ich weiß aber keine oder nur geringe Ausgaben geplant.
"Erhöhte Leistungskapazität": S21 hat zwar 8 Gleise die hin bzw. weg führen, aber diese Gleise sind in ihrer Richtung beschränkt. D.h. aus 8 Gleisen werden 4 Zufahrts- und 4 Abfahrtsgleise. Darüber hinaus werden führen die Gleise jeweils nur zur Hälfte in eine Richtung, das wiederum heißt, zur Ausfahrt-/Einfahrt in Richtung Ulm stehen nur 2 Gleise, zur Aus/Einfahrt in Richtung Bahnhof stehen auch nur 2 Gleise zur Verfügung. Wie gesagt, ziemliche komplex.
Ich finde das sind genug Gründe, um das Projekt ziemlich in Frage zu stellen. Aufgrund der oben genannten Vorgeschichte besteht mMn auch extrem die Gefahr, dass die Bahn da einige Dinge schönredet. Um die Kosten zu verringern und um nicht über die festgelegte Vertragsaustrittssumme von 5,1Mrd zu kommen, wurden im Tunnel die Wandstärke verringert und die Anzahl der Rettungsschächte wurde halbiert. Sicherheitsrichtlinien verlangen je 500m einen Rettungsschacht, bei S21 wurde ein Schachtabstand von 1km genehmigt.
Nun zur
Politik und der Demo:
Wie ich oben schon beschrieben habe, hat das ganze Projekt eine politisch ziemlich fragwürdige Vorgeschichte. Zumal es noch viele Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft gibt. Der Verwurf des Lobbyismus liegt daher nicht fern. Zur Aussage dass das Projekt rechtmäßig legitimiert wurde nun mal folgendes:
Das Projekt wurde mit einer 66%igen Mehrheit im Baden Württembergischen Landtag beschlossen. Allerdings wurde das Projekt beschlossen, als weder der aktuelle Umfang noch die aktuellen Kosten des Projekts wirklich ersichtlich waren. Ein Großteil der kosten wird allerdings vom Bund übernommen, sollte die Kostensteigerung in dem Maß eintreten wie es aktuell prognostiziert wurd, wird der Bund einen erheblichen Anteil der Kosten tragen müssen. Es ist also fragwürdig inwiefern der Bau durch eine Entscheidung im Landtag wirklich legitimiert wird.
Argumente wie "Es wurde bereits beschlossen, Verträge sind gemacht und es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden" halte ich für Schwachsinn. Bei der Atomausstiegsdebatte sieht man ja, was alles möglich ist, wenn die Politik nur will. Darüber hinaus gibt es eine beidseitige Vertragsauskliegsklausel die besagt, wenn das Betrag der Investition eine Höhe von 5,1 Mrd € überschreitet, ist beiden Vertragspartner ein Ausstieg aus dem Vertrag möglich. Diese Klausel greift allerdings noch nicht, da die Herren Politiker wohl immernoch von ihren 4,5Mrd ausgehen.
Dass dadurch Proteste aufkommen, ist ein meinen Augen eigentlich eher ein positives Zeichen dafür, dass die Menschen in diesem Land der Politik langsam aber sicher gegenüber stehen. Zu dem Argument, dass die Proteste erst jetzt kommen, habe ich da ein sehr netten Videobeweis, der zeigt, dass die Proteste schon deutlich früher vorhanden waren:
http://www.youtube.com/watch?v=dJnBCGeuhZQ&feature=player_embedded
Allerdings wurden die Proteste schon damals überhaupt nicht ernst genommen bzw. das Projekt an sich wurde nicht in Frage gestellt. Darüber hinaus war durch die Tatsache, dass das Projekt teilweise verworfen und dann wieder aufgenommen wurde, das Interesse der Öffentlichkeit geschmälert, weil eine Realisierung eh zweifelhaft war.
Zur Demo an sich kann ich sagen, ich war selbst ab 16 Uhr dort und konnte die Stimmung dort miterleben. Die ersten Räumungen und Ausseinandersetzungen habe ich allerdings nicht mehr mitbekommen. Ich war ziemlich beeindruckt von dem was ich sah, als ich dort ankam. Es war ein Massenaufgebot an Polizeikräften, das ich so noch nie gesehen hab. Der Protest verlief hauptsächlich friedlich. Bis auf ein paar verbale (aber ziemlich harmlose) Provokationen und gezeigten Mittelfingern hab ich nichts gesehen. Es gab nur wenige, zumindest als ich da war, die sich wirklich dem Wasserwerfer in den Weg gestellt habe. Der Großteil lies sich friedlich von der Polizei zurückdrängen. Vor allem hies es, dass nur der Weg geräumt wird. Plötzlich feuerte der Wasserwerfer im 90° Winkel zum Weg in die Menschenmenge. Habe sogar Videoaufnahmen davon. Da sieht man auch, wie einem von hinten direkt auf den Kopf geschossen wird.
Also meiner Meinung nach hat die Polizei sich teilweise ziemlich ungeschickt angestellt. Vor allem wie die Wasserwerfer teilweise sinnlos in die Menge hielten, in Bereiche, die garnicht geräumt wurden, war für die Anwesenden ziemlich unverständlich. Man konnte nirgends hinstehen um vor dem Wasserwerfer sicher zu sein, außer in 150m Entfernung. Ich habe sogar Videos, wie Demonstranten von hinten mit dem Wasserwerfer auf den Kopf geschossen wird. Das Ausmaß der Gewalt die angewandt wurde, war einfach zu übertrieben. Da wurde den Menschen die sich friedlich wegtragen liesen plötzlich ins Gesicht gefasst oder sie wurden von Polizisten in den Schwitzkasten genommen. Die Art und Weise war einfach ein perfekte Versinnbildlichung davon, wie das Projekt durchgesetzt wird und wurde...
Ihr könnt euch ja einfach mal folgendes Video ab 0:40 anschauen und euch selbst davon überzeugen, ob ihr das für "gerechtfertigt haltet".
http://www.youtube.com/watch?v=Zsn7Y4w2qwY
Zum Thema Kinder gehören nicht auf die Demo, will ich nur folgendes Einwerfen. Die Tatsache, dass an diesem Tag der Schlosspark geräumt werden soll, war leider nicht öffentlich bzw. erst kurz davor bekannt. Sicherlich sollte vermieden werden..., dass Kinder auf eine Besetzung eines Platzes mitgenommen werden. Sicherlich sollte aber auch vermieden werden, dass gegen friedlich agierende Demonstranten, auch wenn diese einer Räumungsanweisung nicht folge leisten, solche Gewalt angewandt wird.
Ich denke nicht, dass es die Absicht von irgendjemanden war, die Kinder in Gefahr zu bringen. Was hier passiert ist, war einfach nur das zusammentreffen zweier unglücklicher Tatsachen, nämlich einer angemeldeten Demo und eines unbekannten Räumungsvorhabens. Wie dieses Missgeschickt allerdings gelöst wurde, war alles andere als glücklich.
Dass hier Menschen ihre Kinder als Schutzschilder in der Wasserwerferstrahl gehalten haben sollen ist ja mal äußerster Schwachsinn. Bei mir ist sowas in den 3 Stunden in denen ich da war definitiv nicht passiert. Ganz abgesehen davon standen die Demonstranten ja auch nicht nur der Räumung kritisch gegenüber. Wenn da aus den Reihen der Demonstranten was falsches kam, wurde derjenige auch zurückgepfiffen und ich glaube ein "Missbrauch" von Kindern als Schutzschild wäre in der Menge der Demonstrierenden bestimmt nicht akzeptiert worden.
Wieso Kinder allerdings auf einer friedlichen Demo nichts zu suchen haben sollen, verstehe ich nicht. Sicherlich wird deren Meinung von den Eltern beeinflusst, aber das wird nicht anders sein wie bei vielen Jugendlichen.
Viele Menschen wollten hier einfach ein Zeichen setzen, dass sie mit dem was passiert, nicht einverstanden sind. Ich denke es hatten nur wenige ernsthaft vor, den Park vor der Räumung zu bewahren. Viele wollten einfach nur leichten Widerstand leisten. Dass das dann direkt als "Widerstrand gegen die Staatsgewalt" ausgelegt und die Ausübung von überzogener Gewalt gerechtfertigt wird, empfinde ich als deutlichen Fehlschluss. Ein Artikel brachte das Problem ziemlich passend auf den Punkt:
"Die Polizei musste nun das ausbaden, was die Politik verbockt hat."
Wer über das Thema mal ein wenig kritisches Lesen will, kann sich gerne mal diese PDF durchlesen. Sicherlich muss man nicht alles glauben, was dort drin steht. Aber es gibt definitiv zu denken.
http://www.kopfbahnhof-21.de/fileadmin/downloads/Broschueren/K21-Alternative_zu_S21_4_Auflage.pdf
Ich freue mich auf eure Antworten. Solltet ihr allerdings Argumente nennen, gegen die ich oben schon argumentiert haben werde ich so frei sein und einfach meinen Post zitieren. Ich hab zu dem Thema schon ziemlich viel geschrieben und bin es leid, meine eigenen Argumente mehrmals auszuführen...